Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
er seine Worte sorgfältig aus; als sei jedes einzelne ein Schritt auf einem Pfad, der voll versteckter Fallen war. »Wann seid ihr hier angekommen?«
»Gestern Abend«, sagte Blaed mit tonloser Stimme. »Thayne war schon immer gut darin, Tiere zu sich zu rufen. Von den Pferden der Räuber haben genug überlebt, sodass wir alle ein Reittier hatten.«
»Meine Mutter ist eine gute Heilerin. Sie wird sich um seine Hexenfeuerverbrennungen kümmern.«
»Jared …«
»Hat mein Vater euch gut untergebracht? Habt ihr mit ihm darüber gesprochen, dass wir eine Kutsche für die Überfahrt über das Tamanaragebirge brauchen?«
»Jared …« Blaeds Hand schloss sich um Jareds Arm.
Als Jared das Mitgefühl spürte, das der Berührung entströmte, zuckte er zurück, machte einen weiten Bogen um Blaed und ging in Richtung der Stute.
»Geh nach Hause, Jared«, sagte Blaed leise. »Ich werde Lia begleiten.«
Jared erstarrte, erneut zwischen zwei Bedürfnissen hinund hergerissen.
»Geh nach Hause, Jared«, sagte Lia.
Da die Frau und nicht die Königin diese Worte sprach, galoppierte er im nächsten Moment die Straße nach Ranonwald entlang. Sein Verstand verweigerte sich den Bildern, die er um sich herum sah, und er war dankbar dafür. Es würde ihm später noch genug Zeit bleiben, sich um das Ausmaß der Zerstörung zu kümmern.
Es dauerte nicht lange, bis er den Feldweg erreicht hatte, der zu dem verwitterten, verwinkelten Haus führte, das sich schon seit Generationen im Besitz von Reynas Familie befand. Das Heilerinnenhaus wurde nicht von der Mutter an die Tochter vererbt, sondern von der alten Heilerin an die stärkste, oder die einzige, Heilerin der nächsten Generation. Jahr für Jahr war das Land bestellt worden und hatte den Frauen der Blutlinie seine Früchte dargeboten. Über die Generationen hinweg hatten starke Männer des Blutes diese Frauen umworben und sich mit einem langfristigen Vertrag als Gefährte zufriedengegeben, wenn sie nicht in der Lage gewesen waren, den begehrten Titel des Ehemannes zu erlangen.
Jared band die Zügel der Stute an den dafür vorgesehenen Pfosten in der Nähe des Weges, der zur Eingangstür führte.
Im Frühjahr versammelten sich regelmäßig sämtliche Frauen der Familie ein paar Tage um zu helfen, die Gärten um das Heilerinnenhaus zu bepflanzen. Die Männer jeden Alters verbrachten ihre Zeit damit, bei den Reparaturen Hand anzulegen, die über den Winter nötig geworden waren, und die Frauen nachsichtig dabei zu beobachten, wie sie bei den Pflanzarbeiten lachten und sich gegenseitig neckten.
Jared öffnete das Tor. Es hing nicht richtig in den Angeln und klemmte. Er schob sich seitwärts durch den schmalen Spalt.
»Mutter?«
Dieses Jahr hatte niemand etwas angepflanzt. Das fehlende Gelächter traf ihn genauso heftig wie die Wunden des Landes. In den Blumenbeeten, die ihn in seiner Jugend mit ihrer Farbenpracht geblendet hatten, wuchsen nur vereinzelt vom Wind gesäte Blumen, die dürr und welk aussahen.
Zögernd machte Jared einen Schritt auf das Haus zu. Noch einen. Er hob die Stimme. »Mutter?«
Noch ein Schritt.
Da sah er die alten Blutspuren im Bereich der Eingangstür.
Eilig stürzte er vor und riss die Tür auf. »Mutter!«
Der kalte Schweiß brach ihm aus, als er rasch die Wohnräume im Erdgeschoss erkundete. Dann die Behandlungszimmer. Dann den Destillationsraum. Er rannte durch die Hintertür in Richtung des Gewächshauses. Ihm fiel nur auf, dass niemand da war.
»MUTTER!«
Wieder im Haus angelangt, nahm er zwei Treppenstufen auf einmal. Zuerst sah er sich die Zimmer seiner Brüder an.
Davins Raum wies keinerlei persönliche Besitztümer auf. Janos’ Zimmer erweckte den Anschein, als habe es jemand eilig durchsucht und die Kleidungsstücke und Bücher liegen gelassen, wo immer sie hingefallen waren.
Auch die Gästezimmer im ersten Stock waren leer.
Die Räumlichkeiten im zweiten Stock ebenfalls.
Er ging zurück in den ersten Stock.
Seine Kleider hingen nicht mehr im Schrank, doch seine Bücher befanden sich immer noch in dem niedrigen Regal neben dem Schreibtisch, der schon vor dem Fenster gestanden hatte, so lange er sich zurückerinnern konnte. Dieselbe Steppdecke lag auf dem Bett. Einst hatte sie so riesig gewirkt, doch nun wusste er, dass sie gerade gut für zwei Menschen ausreichen würde.
Ein einziges Zimmer war übrig.
Seine Hand zitterte, als er die Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern öffnete.
Schmerz und Trauer, vermischt mit Liebe,
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