Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
schlugen ihm an der Schwelle entgegen.
Er schloss die Augen und klammerte sich am Türrahmen fest. Es war ihm weder möglich zurückzuweichen noch vorwärts zu gehen.
Mauern vergaßen nicht. Im Laufe der Zeit nahmen Holz und Stein die Gefühle derer in sich auf, die an einem Ort lebten, und jeder, der mächtig genug war, konnte sie spüren.
Das hier war anders. Stärker. Als ob …
Jared schlug die Augen auf und betrachtete das große Doppelbett, das sich Reyna mit Belarr geteilt hatte – das Bett, in das ein Junge, egal wie klein er sein mochte, ohne die Erlaubnis seines Vaters niemals hatte klettern dürfen.
Zuerst dachte er, Reyna habe eine neue Steppdecke für das Bett gekauft, doch er begriff nicht, warum sie solch eine stumpfe Farbe gewählt hatte, obwohl sie doch alles Helle liebte.
Dann entdeckte er die blauen und grünen Flecken an der unteren Ecke, und ihm wurde klar, dass die Decke mit Blut getränkt war.
Jared taumelte auf das Bett zu. Er musste die Übelkeit niederkämpfen, die in ihm aufstieg.
Blut singt zum Blut. Deshalb waren seine Gefühle so stark. Sie steckten nicht im Holz oder im Mauerwerk, sondern in dem Blut.
Seine Hand bebte heftig, als er sie nach der Decke ausstreckte.
Das Blut war alt, doch es war so viel da. Er musste nur seine inneren Barrieren öffnen und es berühren, dann würde er Bescheid wissen.
»Jared«, erklang eine raue Stimme.
Seine Hand verharrte über der Decke. Noch ein paar Zentimeter. Bloß ein paar Zentimeter.
Seine Hand rührte sich nicht.
»Jared.«
Jared wirbelte herum. Sein Herz hämmerte wild.
Im Türrahmen stand ein alter Mann. Das zerzauste Haar hing ihm bis auf die Schultern. Kummer und Schmerz hatten tiefen Furchen in sein Gesicht gegraben. Sein linker Ärmel war knapp über der Stelle festgesteckt, an der sich einst der Ellbogen befunden hatte.
Jared starrte den alten Mann an. Er riss die Augen weit auf. »Onkel Yarek?«
»Onkel Yarek«, pflichtete der alte Mann ihm mit einem traurigen Lächeln bei. »Reyna hat gesagt, du würdest in diesem Herbst nach Hause kommen.«
»Mu -« Jareds Stimme versagte. Eilig durchquerte er das Zimmer und umarmte seinen Onkel. Der heftige Schmerz, der in ihm emporstieg, jagte ihm Angst ein, sodass er ihn unterdrückte und in Ketten legte.
»Komm fort von hier, Jared«, sagte Yarek leise und trat in den Flur zurück, wobei er Jared mit sich zog. »Komm fort von diesem Zimmer. Es ist zu schmerzhaft, darin zu verweilen. Gehen wir nach draußen. Gehen wir nach draußen und setzen uns in den Garten. Dort können wir uns unterhalten.«
Ohne etwas zu sagen, folgte Jared seinem Onkel zu einer steinernen Bank am anderen Ende des Gartens. In der Nähe der Bank befand sich ein kleiner, abgedeckter Brunnen.
»Möchtest du etwas Wasser?«, fragte Jared.
Yarek verzog das Gesicht ein wenig, als er sich auf der Bank niederließ. »Sicher.«
Jared hob die Abdeckung empor und ließ den hölzernen Eimer in die Tiefe sinken. Als er sich nach dem Schöpflöffel umsah, meinte Yarek, »Hier«, und rief einen Becher herbei.
Nachdem Jared den Becher gefüllt hatte, reichte er ihn Yarek. »Wenn meine Freunde und ich den Nachmittag über im Wald gespielt haben, sind wir letzten Endes jedes Mal hier gelandet, weil dieser Brunnen das süßeste Wasser in ganz Ranonwald hatte.«
»Ja, das hatte er.« Yarek leerte den Becher und gab ihn Jared zurück. »Jetzt ist es so bitter wie die Tränen einer Frau.«
Erst nach kurzem Zögern füllte Jared den Becher in dem Eimer und trank davon.
So bitter wie die Tränen einer Frau. Oder waren es die Tränen des Landes, die er da schmeckte? Gab es da für die Angehörigen des Blutes überhaupt einen Unterschied?
Durstig trank er einen weiteren Becher, bevor er sich neben seinem Onkel auf der Bank niederließ.
»Was ist hier geschehen, Onkel Yarek?«
Yarek ließ den Blick über den spärlichen Garten schweifen und seufzte. »Krieg, Jared. Krieg zwischen den Stämmen.«
»Aber wir sind seit Shals Zeiten vereint.«
»Wenn sich alle an die Warnungen Shals bezüglich der langlebigen Völker erinnert hätten, wären wir vielleicht vereint und stark geblieben. Aber diese Schlampe, die Hayll kontrolliert, hat so ihre Methoden, um Unfrieden zu säen. Es ist, als würde man ein Unkraut im Garten finden. Man weiß zwar, dass es nicht dorthin gehört, aber es sieht klein und hübsch aus, also lässt man es in Ruhe. Während es jedoch oberhalb der Erde klein und hübsch aussieht, gräbt es sich mit den
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