Die schwarzen Raender der Glut
dem Adressenverzeichnis ein. Ihre Idee war es nicht gewesen, sich so etwas zuzulegen.
Tatsächlich wohnt Bettinas Familie in Neckargemünd. Die Adresse klingt nach Odenwald-Hängen hoch über dem Tal, nach Südlage und gewiss nicht nach einem Reihenhaus mit handtuchgroßem Garten.
Sie lehnt sich zurück. Draußen ist es dunkler geworden. Birgit sieht es mit grimmiger Genugtuung. Was hat die Sonne an solchen Tagen zu scheinen?
Der Wetterbericht hat ein Gewitter angekündigt. Schön. Vielleicht wird der Blitz die beiden treffen. Coup de foudre.
Aber Hubert hat den Wagen gar nicht dabei. Wo also? Im Musiksaal? Du – gehaucht, über den Flügel gebeugt – du, ich hab so Angst, fühl doch nur, wie mein Herz schlägt.
Ach woher. Bettina wird einen eigenen Wagen haben. Was schenkt man bei Chefarzts der Tochter, dass sie damit Ficken fahren kann? Ein Käfer Cabrio? Birgit erinnert sich. Es geht im Käfer. Zwar nicht gut, aber es geht. Doch darf die Frau nicht zu dick sein. Plötzlich lächelt sie. Tückisch? Ja, tückisch. Vor allem nämlich darf sie keine zu dicken Beine haben.
Sie hört, wie die Haustür sich öffnet. Hubert. Nicht vom Blitz erschlagen! Wie denn auch. Das Gewitter hat noch gar nicht angefangen. Na schön. Hören wir, was er uns vorlügt.
»Da hab ich vermutlich gerade noch Glück gehabt. Das Gewitter muss jeden Augenblick losbrechen.« Er steht in der Tür zum Arbeitszimmer und hat die Brille abgenommen. »Du solltest den Computer besser ausschalten.«
Schweigend betrachtet sie ihn.
»Was ist?« Unsicher äugt sein brillenloses Gesicht zu ihr hin.
»Was soll sein?«
»Du siehst mich so an, ich weiß nicht wie.«
»Dann weiß ich es auch nicht. Bist du zufrieden mit deinem Nachmittag?«
Hubert setzt sich seufzend auf den Drehstuhl vor der Regalwand, in der sie beide ihre Unterrichtsmaterialien untergebracht haben.
»Der Chor!«, sagt er. »Ich will ja nichts Übermenschliches von ihnen. Nur einen klaren, hellen, klingenden Ton. Aber diese Wohlstandskinder schaffen es nicht.«
»Ich dachte, du hast mit Bettina . . . geübt.«
Hubert Höge schüttelt kurz den Kopf. »Ich weiß nicht, was du immer mit Bettina hast. Da ist kein Problem. Die bringt das.« Oh ja. Die bringt das. Nicht nur das. Birgit dreht sich wieder dem Computer zu und geht aus dem Programm.
Der Tee wird im Tiberius-Fundel-Salon gereicht. Auf dem ovalen Mahagonitisch ist für vier Personen gedeckt, Meißner Porzellan, Zwiebelmuster preußischblau. Von den zartrosa gestreiften Tapeten wandert der Blick durch die mit Sprossen aufgeteilte Fensterfront auf die grüne Wand der Stangenbohnen, zwischen denen Ringelblumen gepflanzt sind. Margarethe Zundt, weiße Bluse mit bestickten Borten, das lange weißblonde Haar mit einem violetten Band im Nacken zusammengefasst, lässt es sich nicht nehmen, selbst einzuschenken. Bräunlich und wässerig ergießt sich der Aufguss in die Tasse des Besuchers.
»Kakaoschalen-Tee«, erklärte sie. »Anregend, aber schonend. Wenn sie ihn erst kennen gelernt haben, schwören alle unsere Gäste darauf, nicht wahr, Gerolf?« Zundt schreckt hoch und sortiert seine Gesichtsfalten zu eilender Zustimmung.
»Ich bin sicher, gnädige Frau, dass ich keine Ausnahme machen werde«, antwortet der Besucher höflich. Ernst Moritz
Schatte ist ein hagerer Mann, nach Grassls Schätzung zwischen 50 und 60 Jahre alt, etwas größer als er selbst, mit einem Gesicht, in dem die vorspringende Nase auffällt und ein Mund, um den kaum merklich ein abschätziger Zug liegt. Die Augen sind dunkel, fast körperlich spürt Grassl den forschenden, misstrauischen Blick. Schatte trägt das dunkle, grau melierte Haar lang, aber im Nacken und über den Ohren sorgfältig ausrasiert.
Der Besucher nimmt vorsichtig einen Schluck. Grassl beobachtet ihn. Nichts geschieht. Grassl wirft einen Blick auf Zundt. Ihre Augen begegnen sich, und wie zwei ertappte Verschwörer wenden sie sich stracks voneinander ab und den Keksen aus Dinkelschrot zu.
Schatte setzt die Tasse wieder ab. »Vorzüglich«, sagt er dann. »Ich beglückwünsche Sie. In unserer amerikanisierten Zivilisation ist es gewiss alles andere als einfach, sich natürlich zu ernähren . . .«
Die Hohe Frawe findet, dass der Herr Professor Schatte hier einen wunden Punkt angesprochen hat.
Gleich kommen die Bohnen, denkt Grassl.
»Wenn Sie wüssten«, seufzt die Hohe Frawe, »welchen Kampf ich jedes Jahr führen muss, nur um Sägemehl aus unbehandeltem Holz zu bekommen.
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