Die schwarzen Raender der Glut
baskischen, der bretonischen, der walisischen? Und ist es womöglich auch das Europa der elsässischen Nation, oder sollte ich den Leiter des Odilien-Hilfswerks danach lieber nicht fragen?«
Er packt den Stuhl, der vor dem Arbeitstisch steht, und schiebt ihn einladend seinem Gastgeber zu. Dann setzt er sich selbst auf den Tisch. Zundt bleibt stehen.
»Sie schweigen«, fährt Schatte fort, »wie überhaupt das Odilien-Hilfswerk von dem Guten, das es tut, nicht reden mag, wie mir Ihre liebenswürdige Gattin erklärt hat. In einer bestimmten historischen Situation mag das auch angemessen gewesen sein. Aber Volkstum, Zundt, das sich selbst zum Schweigen verurteilt, das stirbt. Nein, es ist schon tot.«
»Deshalb fördern wir ja das heimische Volkstum und seine Sprache«, widerspricht Zundt. »Dies freilich ist nur im Verborgenen möglich.«
»Sprache findet im öffentlichen Raum statt«, antwortet Schatte und hebt wieder den Zeigefinger. »Im Verborgenen kann sie nicht überleben. Das wissen auch Sie. Nun will ich Ihnen gerne zugestehen, dass Trachtenvereine und Volkstanzabende höchst lobenswerte Veranstaltungen sind. Falls Sie auf diesem Gebiet mäzenatisch tätig sein sollten. Aber was hat Ihr Hilfswerk denn konkret für das deutsche Volkstum im Elsass bewirkt? Nennen Sie mir doch einen einzigen Autor oder Publizisten, der die elsässischen Probleme auf eine in unserem Sinne nationale Weise darstellt . . .«
»Sie unterstellen hier eine politische Zielsetzung, wie sie
das Hilfswerk stets weit von sich gewiesen hat«, entgegnet Zundt, die Hände um die Lehne des Stuhl gekrampft.
»Dass ich nicht lache!«, antwortet Schatte. »Es geht um den Fortbestand deutschen Volkstums, und Sie kommen mir mit der Vereinssatzung . . .«
Zundt schüttelt den Kopf. Dann sieht er Hilfe suchend um sich und erblickt Grassl in seiner Ecke. »Das ist hier nicht der richtige Ort . . . Gehen wir in mein Arbeitszimmer.«
Wenig später verlassen Zundt und Schatte die Bibliothek, Grassl bleibt allein zurück. Was tun? Erst einmal geht er zum Regal mit den Nachschlagewerken und holt sich Kürschners Gelehrtenkalender. Schatte, Ernst Moritz, Prof. Dr., ist tatsächlich Ordinarius in Freiburg und lehrt dort an einem Institut für Geopolitik und Kommunikationswissenschaften.
Grassl stellt den Gelehrtenkalender ins Fach zurück und versucht nachzudenken, was aber zu nichts führt, denn es erscheint Margarethe Zundt und fragt, ob er ihr im Internet eine Bahnverbindung heraussuchen könne, sie wolle am nächsten Tag nach Sonthofen zu einem Vortrag.
Während Grassl den Computer einschaltet und darauf wartet, dass ihn der Server ins Netz bringt, beugt sie sich vertrauensvoll über seine Schulter. »Wissen Sie, es gibt da einen Kreis sehr kultivierter, sehr gebildeter Damen, wir wollen ein wenig über das Geheimwissen des Kaukasischen Grals plaudern.«
Dann ist Grassl glücklich im Internet und sucht nicht nur die Bahnverbindungen des nächsten Tages heraus, sondern lässt ihr auch noch den Fahrplan ausdrucken, was die Hohe Frawe dann doch sehr aufmerksam findet. »Sehr anstelliger junger Mann!«, sagt sie zum Abschied und steigt mit dem ihr eigenen majestätischen Gang wieder die Treppe hinab.
Aber weil Grassl nun schon im Netz ist, beginnt er ein wenig herumzusuchen. Auf dem Bildschirm erscheint schwarz-weiß-rot eingefärbt die Titelseite des Informationsdienstes der Nationalen Aktion. Schwarz-Weiß-Rot bringt sich mit allen drei Strophen des Deutschlandliedes in Empfehlung und hat im
Wortlaut einen Vortrag anzubieten, den Schatte auf dem Stiftungsfest einer Burschenschaft gehalten hat. Ein Foto ist beigefügt, und wieder fällt Grassl der Gesichtsausdruck Schattes auf, der eigentümliche Zug um den Mund, der ihm jetzt aber doch eher verächtlich und höhnisch erscheint.
Der Vortrag handelt von der Überfremdung Deutschlands. Grassl bleibt an einer Stelle hängen, an der Schatte von dem Versuch spricht, »die deutschen Eliten in die Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu verstricken . . .«
Versteh ich nicht, murmelt Grassl. Wieso Versuch? Die waren doch alle dabei, und nicht zu knapp. Er ruft eine andere Seite auf und findet ein Interview, das Schatte der Phalanx gegeben hat, einer Zeitschrift für die Aristokratie des Geistes , wie es in ihrem Untertitel heißt. In dem Interview geht es um den Vorwurf, der Freiburger Universitätsprofessor Schatte rufe zum Fremdenhass auf, worauf dieser antwortet, er habe sich sogar für
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