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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Unheil drohend bleigrau. Ein Windstoß wirbelt eine leere Plastiktüte über den Platz. Die letzten Kunden hasten an ihm vorbei.
    Auch Berndorf beeilt sich. Faltenhauser hat ihm ein Zimmer in einem kleinen Hotel garni in der Altstadt besorgt, nur wenige Schritte vom Bismarckplatz entfernt. Doch seit jenem Unfall, als sein Citroën von einem Lastwagen gerammt wurde, tut er sich mit dem Laufen schwer. Die Schrauben in seinem linken Bein erlauben nicht mehr als ein eiliges Humpeln. Noch ehe er in die Plöck einbiegt, fallen erste schwere Tropfen. Er erreicht das Hotel, als hinter ihm Hagelkörner hart auf Pflaster und Asphalt schlagen.
     
    »Und hier haben wir unseren Giftschrank«, sagt Zundt und öffnet die Tür zu einer von der Bibliothek abgeteilten Kammer. Die Wände sind deckenhoch mit Bücherregalen voll gestellt, unter dem Mansardenfenster der Tür gegenüber steht ein Arbeitstisch, auf dem noch Oskar Wöhrles Kriegserinnerungen liegen.
    Obwohl der Himmel bedeckt ist, brütet in der Kammer noch die Sommerhitze.
    Schatte mustert die Buchreihen. Grassl bemerkt, dass der Besucher sich in seiner und in Zundts Gesellschaft keine Mühe mehr gibt, nicht gelangweilt zu erscheinen. Wöhrles Buch blättert er achtlos durch, greift dann nach einem dickleibigen in Leinen gebundenen Band, schlägt scheinbar zufällig eine Seite auf und liest laut vor:
    ». . . Es ist nicht das amerikanische Volk als geschichtliche Erscheinung, sondern jene Entartung des Amerikanismus, der, um seine ungelösten inneren Schwierigkeiten zu verbergen, die Errichtung einer Weltherrschaft anstrebt . . .«
    Er legt das Buch wieder zurück. »Giselher Wirsing. Originalton 1942. Wird später bei Christ und Welt nur ungern daraus zitiert haben. Aber ich verstehe nicht, warum Sie das wegschließen. Jeder, der klar denkt, wird diesen Satz unterschreiben. Hochaktuell ist der.«

    »Sie vergessen«, wendet Zundt ein, »dass meine Generation die amerikanische Politik anders zu sehen gelernt hat.«
    »Richtig«, sagt Schatte. »Man hat es Ihnen eingetrichtert. Wie die gesamte deutsche Kulturintelligenz sind Sie darauf dressiert worden, nicht mehr klar zu denken.«
    Zundt sagt erst einmal nichts. Grassl zieht sich behutsam nach links zurück, wo die Ecke zwischen den Bücherregalen besonders dunkel ist.
    »Sie sind doch ein Konservativer von altem Schrot und Korn«, fährt Schatte fort, »Staatspartei, in der Wolle gefärbt. Haben Sie sich eigentlich noch nie überlegt, warum Ihre Leute wirklich die Macht in Berlin verloren haben?«
    Zundt murmelt etwas von unglücklichen Personalentscheidungen.
    Schatte wedelt abschätzig mit der Hand. »Sie sind wie die Bourbonen, Zundt. Sie vergessen nie, aber Sie lernen nichts daraus.« Er beugt sich nach vorn, sodass er mit dem kleineren Zundt auf gleiche Augenhöhe kommt. »Einige von euren Leuten beginnen zwar, die richtigen Fragen zu stellen. Der eine oder andere nimmt schon auch einmal das Wort Überfremdung in den Mund. Ein bisschen Bedenken da, ein paar Unterschriftenaktionen dort. Aber ihr traut euch nicht, es richtig zu tun. So, wie Sie sich nicht trauen, Ihre Bücher zu zeigen. Sie haben nie gelernt, was Sie aus 1968 hätten lernen sollen.«
    »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, sagt Zundt widerstrebend. »Was für Fragen sind das, die wir nicht richtig stellen?«
    »Die Fragen nach der nationalen Identität und dem nationalen Interesse«, antwortet Schatte. »Nehmen wir das Thema, das Sie für unser Seminar vorgeschlagen haben: Die Globalisierung und das Europa der Nationen . . . Was heißt denn das, Zundt? Warum reden Sie von Globalisierung, als ob Sie Leitartikler bei der Zeit wären, und warum nennen Sie das Popcorn-gemästete Kind denn nicht bei seinem Namen? Es ist die Dampfwalze der amerikanischen Hegemonie, die unseren eigenen Lebensentwurf platt machen will, einebnen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner von Coca-Cola und McDonalds . . .«

    »Ich glaube nicht, dass dieser Zusammenhang . . .« Zundt muss den Satz unvollendet lassen, denn Schatte fährt ihm dazwischen: »Doch, genau das sollten wir tun! Die Dinge in den Zusammenhang stellen, in den sie gehören. Nehmen wir doch«, Schatte richtet seinen Zeigefinger auf Zundt, »nehmen wir doch diesen schönen Begriff vom Europa der Nationen, den sogar die Gaullisten unterschreiben könnten, wenn sie nicht gerade mit dem Abkassieren ihrer Bauunternehmer beschäftigt sein sollten. Ist dieses Europa der Nationen auch das der katalanischen Nation, der

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