Die schwarzen Raender der Glut
wunderschön Gitarre spielen, aber wenn sie in der Wohnung unter dir im Badezimmer die Hühner schlachten, kommst du dann vielleicht doch ins Nachdenken.«
»Und wenn mir das nichts ausmacht? Vielleicht geben sie mir ja ein Hühnerbein ab.«
»Ach, dann wird sicher bald eine zweite Wohnung frei, und die wird dann an Aussiedler vermietet, die haben nämlich Anspruch auf weitere zehn Prozent, und dann zieht eine Familie aus Kasachstan ein, seien Sie vorsichtig, tuschelt dir der Hausverwalter zu, der Sohn war Soldat in Afghanistan und ist jetzt schwer traumatisiert, im Krieg hat er afghanischen Frauen die Brüste abgeschnitten, dabei ist er ganz ein lieber Kerl, aber wenn er zu viel Wodka erwischt, muss man die Küchenmesser wegschließen, sonst greift er sich eins und läuft durch Bockenheim und sucht nach afghanischen Frauen.«
»Das ist nicht wirklich wahr.«
»Du alte Zottel, darauf kommt es doch gar nicht an. Es genügt, was die Leute denken. Was sie so einem armen Teufel von Aussiedler zutrauen, der sich in Afghanistan vielleicht wirklich einen Schatten eingefangen hat. Und um es nicht noch schlimmer zu machen, bringen wir solche Tatarengeschichten auch gar nicht erst.«
Die Zweizimmerwohnung, in der Wilhelm Troppau zuletzt gelebt hatte, riecht muffig, nach Hausstaub und ungelüfteten Anzügen, ist aber so ordentlich gehalten, wie ein allein stehender Mann das fertig bringt. Sie ist klein und mit dunklen schweren Möbeln voll gestellt, Gelsenkirchener Barock aus den Fünfzigerjahren.
Berndorf und Faltenhauser stehen im Wohnzimmer, zwischen der dunkel gebeizten Kommode und einem schweren Tisch mit einer geblümten, stockfleckigen Decke. An der Wand gegenüber, neben einem Bücherbord, lehnt eine Trittleiter. Auf dem Teppich mit dem Persermuster markieren Kreidestriche, wo sie stand, als man Troppau gefunden hat.
Berndorf sieht zur Decke und betrachtet die beiden dort eingedübelten Haken.
»Doppelt genäht hält besser«, sagt Faltenhauser neben ihm. »Er muss ein vorsichtiger Mensch gewesen sein.«
»Ja«, sagt Berndorf, »wenn ihm die Zeit dazu blieb.« Er geht zu dem Bücherbord. Einige Klassikerausgaben im falschen
Halbleder einer Buchgemeinschaft, daneben die Bibel, das Liederbuch einer freikirchlich-evangelischen Gemeinde, medizinische Ratgeber. Berndorf bückt sich und zieht das Liederbuch heraus und schlägt es auf, das Lesebändchen ist bei dem Choral »Näher mein Gott zu Dir« eingelegt.
Berndorf klappt das Liederbuch wieder zu und stellt es zurück. Die Ratgeber haben Titel wie »Neuer Tag, neuer Mut«, »Die Depression bezwingen« oder »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, und auf den Schutzumschlägen blecken Psycho-Yogis ihre kostspielig sanierten Betrügergebisse.
»Kein Wunder.«
»Wie meinen?« Faltenhauser blickt stirnrunzelnd.
»Nichts«, sagt Berndorf. »Keine Briefe oder persönliche Unterlagen?«
»In der Kommode waren zwei Aktenordner. Wir haben sie erst einmal sichergestellt.«
»Könnte ich sie mir anschauen?«
Faltenhauser blickt unglücklich. »Wir haben die Ordner in der Direktion. Ich wollte heute eigentlich nicht mehr zurück.«
»Ich wollte sowieso bis morgen bleiben«, sagt Berndorf. Wieso eigentlich? Ich habe nicht einmal Gepäck dabei. »Geht das, wenn ich morgen Vormittag zu Ihnen komme?«
»Um zehn Uhr, vor unserer Dienstbesprechung?« Es klingt zurückhaltend. Berndorf nickt.
»Mit dem Brief können Sie nichts anfangen?«
Ach ja, Troppaus Abschiedsbrief. Faltenhauser hat ihm eine Kopie gegeben, noch auf dem Hauptbahnhof, wo er ihn abgeholt hatte. Das Original liegt bei den Akten.
»Warum eine silberne Kette? Nein, Kollege, das sagt mir nichts. Warum nicht Rosenknospe? Letzte Worte sind das Rätsel, das keiner mit Gewissheit löst.«
Birgit, allein zu Haus, hat den Computer eingeschaltet. Oberhalb des Bildschirms klebt der Zettel mit der Aufschrift Mu$$ik , dem Passwort für Huberts Homepage. Aber die Musik-Kolumne des Studienrats Höge interessiert jetzt nicht. Birgit
hat die Zugauskunft der Bahn aufgerufen. Um 22.29 Uhr fährt vom Heidelberger Hauptbahnhof ein Nahverkehrszug nach Bruchsal, und um 22.38 Uhr einer nach Darmstadt.
Und wer nach Neckargemünd will, kann um 22.40 die Regionalbahn nach Heilbronn nehmen.
Birgit notiert sich die Abfahrtszeiten. Sie hätte sie sich vom Computer auch ausdrucken lassen können. Als Beweismaterial? So weit war es noch nicht.
Außerdem: Was beweisen die Abfahrtszeiten? Nichts. Birgit legt die CD-ROM mit
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