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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Instinkte des geborenen politischen Führers«, wirft Berndorf ein.
    »Ich selbst habe Schatte erst später kennen gelernt, in Frankfurt, wo er um 1969 aufgetaucht ist«, fährt Barbara fort. »Es gibt Leute, denen man zuhört, sobald sie den Mund aufmachen. Das hat zunächst nichts zu tun mit dem, was sie sagen. Eher damit, wie sie es tun. Schatte war so jemand. Vermutlich ist er es heute noch. Einmal habe ich ihn bei einer Hörsaal-Besetzung erlebt, die uns aus dem Ruder gelaufen ist – der Institutsdirektor, ein alter tappriger Herr, war plötzlich von einem ganzen Rudel von Studenten eingekeilt. Es war eine kritische Situation, der alte Herr hatte es am Herzen, einen Toten hätten wir nun wirklich nicht brauchen können . . . Schatte war der Erste, der reagierte. Er griff sich das Megafon und stellte den Antrag, diese Charaktermaske von Universitätslehrer wegen erwiesener Unwürdigkeit des Hörsaals zu verweisen . . .«
    »Und?«
    »Allgemeine Zustimmung, der Alte konnte gehen und von da an ungestört seiner Emeritierung entgegendämmern. Ich war beeindruckt. Schatte grinste nicht einmal, nur Tobby sah ihn mit einem ganz merkwürdigen Blick an . . . Ich glaube, Tobby hat damals klammheimlich begonnen, sich über Schatte zu erkundigen.«
    »Tobby?«, fragt Berndorf.
    »Tobias Ruff«, antwortet Barbara. »Dem hat damals auch nicht geträumt, wohin ihn der Marsch durch die Institutionen noch verschlagen würde. Ein paar Wochen nach der Geschichte im Hörsaal ist es dann passiert. Es war eine Zusammenkunft im Kolb-Keller, unten in einem Bockenheimer Studentenheim.
. . Was tun? Die alte Frage, und keine Antwort in Sicht. Ums Verrecken ist aus der westdeutschen Arbeiterschaft kein revolutionäres Bewusstsein herauszukitzeln, das war allen klar, aber Schatte hatte eine Idee. Damals kam die erste Generation türkischer Arbeiter ins Land, und Schatte, der manchmal zweieinhalb Stunden am Stück reden konnte, monologisierte darüber, dass hier eine industrielle Reserve- und Streikbrecher-Armee rekrutiert werde, ein Fakt, der dem westdeutschen Proletariat als unmittelbare Bedrohung des eigenen, nur vermeintlich sicheren sozialen Status vor Augen geführt werden müsse . . . Das geht so hin und dreht sich und nimmt kein Ende, aber irgendwann packt sich Tobby, rund und kompakt und bullig, ein Mikrofon und sagt, der Genosse Schatte wolle offenbar den räudigen Tiger des Rassismus gegen die Hyäne des Kapitalismus hetzen, doch wer mit dem Genossen auf Safari ziehen wolle, der müsse immer eine Hand frei haben. Damit er, falls plötzlich der Parkwächter kommt, schnell mal für den Genossen Schatte den Tiger am Schwanz halten kann . . . Und dann erzählt er, wie Schatte in Köln seinen Nebenmann das Megafon in die Hand drückt und sagt: ›Halt das mal . . .‹« Sie greift nach dem Weinglas, trinkt aber nicht.
    »Was ist aus diesen Leuten geworden?«, will Berndorf wissen. Barbara schüttelt kurz den Kopf und kehrt mit ihren Gedanken aus dem Kolb-Keller und den frühen Siebzigerjahren zurück in den Adler nach Handschuhsheim. »Ruff sitzt seit 1987 im Bundestag, vermutlich holt ihn jetzt der Kanzler als Chef-Einpeitscher, solltest du eigentlich gelesen haben. Was aus mir geworden ist . . ., das siehst du ja. Und Schatte heißt seit damals unter denen, die ihn kennen, nur noch der Genosse Halt-das-mal, in Frankfurt hat nicht einmal mehr ein RCDS-Mensch ein Flugblatt von ihm genommen. Ich fand es sehr erheiternd, ihn in Heidelberg wieder zu treffen.«
    »Aber auf Safari ist er nicht?«
    »Wohl doch«, antwortet Barbara zögernd. »Nachdem der Aufbruch Ende 1972 eingestellt worden war, hat man lange
nichts mehr von ihm gelesen oder gehört. Irgendwann hieß es, Schatte habe an einem palästinensischen Trainingscamp irgendwo in der arabischen oder libyschen Wüste teilgenommen, in der Szene hat man das eher komisch gefunden. Um 1975 war er wieder im Land und bekam einige Jahre später in Freiburg einen Lehrstuhl für Internationale Kommunikation oder so ähnlich, frag mich nicht, was das sein soll . . .«
    »Hast du Kontakt mit ihm?«
    »Ich vermeide es nach Möglichkeit«, antwortet sie. »Er ist ein peinlicher Fall. Einer von denen, die ganz rechtsaußen gelandet sind. In seinem Türken-Monolog hat sich das ja wohl schon angekündigt.« Sie trinkt ihr Glas aus. »Vor einiger Zeit hat er ein Buch herausgebracht, eine Abhandlung über den angeblich bevorstehenden Weltbürgerkrieg der Kulturen. Pfrontner – du hast ihn bei mir

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