Die schwarzen Raender der Glut
aber man gehört doch dem gleichen Konvent an, weshalb der Chargierte es sich auch zur hohen Ehre anrechnet, dem Erlanger Alten Herrn nach dessen ärgerlichem Unfall behilflich sein zu dürfen.
Denn Grassl hat sein gesamtes Gepäck verloren, alles ist im Wagen verbrannt und ausgeglüht, diese türkischen oder polnischen Lastwagenfahrer geben auch auf nichts Acht! Zu dumm, wo er doch am Montag wichtige Verhandlungen im Stuttgarter Wissenschaftsministerium hat, es geht um ein grenzübergreifendes Projekt – »das ist aber noch alles sehr vertraulich« – zur Förderung eines speziellen deutschen Sprachunterrichts, insonderlich im Elsass: »Wir wollen es die Sesenheimer Wegweisung nennen . . .« Aber jetzt muss er sich erst einmal einen Anzug kaufen, in seinem derangierten Outfit kann er schlecht bei der Landesregierung vorsprechen . . .
»Ich würde Ihnen ja gerne . . .«, hebt der Chargierte an und wirft einen zweifelnden Blick auf Grassls Oberweite, die weniger in den Schultern, dafür aber mehr um den Bauch herum eine ausgeprägte ist.
»Aber ich bitte Sie«, sagt Grassl. »Ich stehe ja jetzt schon tief in Ihrer Schuld. Ohne Gepäck und in meiner verbeulten Verfassung«, vorsichtig tastet er nach seiner zusammengeflickten Augenbraue, »hätte ich doch nirgends ein Hotelzimmer bekommen.«
Der Chargierte wiederholt, dass das nicht der Rede wert sei. »Für solche Fälle haben wir ja unser Gästezimmer. Übrigens hoffe ich doch sehr, dass Sie auch in den kommenden Tagen
unser Gast sind, zumindest bis Sie Ihre Verhandlungen in Stuttgart abgeschlossen haben.«
Das sei wirklich sehr freundlich, meint Grassl und zögert noch etwas, bis er das liebenswürdige Angebot dann doch annimmt: »Hoffe nur, uns in Bälde erkenntlich zeigen zu können.« Der Chargierte antwortet höflich, dass dieses bereits am nächsten Dienstag geschehen könne, wenn es Dr. Grassl denn einrichten könne, so lange zu bleiben und im abendlichen Studium generale den Füchsen etwas über das unterdrückte deutsche Schrifttum des Elsass zu erzählen, einem Thema, das er vorhin so interessant habe anklingen lassen. Dr. Grassl greift nach seinem Notizbuch, um seine Termine abzugleichen, aber das Notizbuch ist leider auch verbrannt. »Ich glaube aber«, meint er schließlich, »das lässt sich einrichten . . .«
Über den Flurbereinigungsweg, der von Wieshülen zum Schafbuck führt, holpert ein ältlicher blauschwarzer Ford-Kombi. Am Steuer sitzt Ortsvorsteher Jonas Seifert. Neben ihm hockt Marzens Erwin, der noch immer nicht einsehen will, warum der Albverein den Franzosensteig nicht selbst richtet. Im Fond hinter ihnen hat Felix, der Hund, Platz genommen, und wenn der Ford über eine Bodenwelle huckelt, nicken sie alle mit den Köpfen, erst der Ortsvorsteher und Marzens Erwin, dann Felix, der Hund.
Der Weg führt in den Wald und wird so eng, dass am Ford links und rechts die Fichtenzweige vorbeistreifen. Marz’ Blick fällt auf Fahrspuren, die den Flurbereinigungsweg verlassen, er späht durchs Geäst und sieht tatsächlich einen Wagen unter den Bäumen, als ob man ihn dort versteckt habe. Aber irgendwie sieht das, was von dem Wagen zu sehen ist, ein wenig zerknittert aus, falls man das von einem Auto sagen kann. »Jonas, halt doch mal«, sagt er, und sie halten und steigen aus. Wachsam und pflichtbewusst läuft ihnen Felix voran.
»Hier«, befiehlt Seifert, denn das, was einmal ein Audi gewesen war, liegt nun auf platten aufgeschlitzten Reifen inmitten kristalliner Glasbrocken.
Aufschnaufend setzt sich Felix auf seine Hinterläufe und sieht zu, wie sein Herr langsam um das Auto herumgeht, Dellen und eingeschlagene Scheiben begutachtet und schließlich zwei prachtvolle Buchenprügel aufhebt und sie durch die nicht mehr vorhandene Scheibe des hinteren Seitenfensters auf den Rücksitz des Wagens wirft.
»Erwin«, sagt Seifert, »wenn du mir das hier erklären kannst – erklär es mir jetzt.«
Marzens Erwin macht ein empörtes Gesicht. Wie kann ihm Jonas so etwas unterstellen?
»Was ist da passiert, und was weißt du davon?«, insistiert Seifert.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, mault Marz. »Es ist das Bürschle, das hier rumlurt. Die Jungen mögen das nicht.«
»Was ich sehe, ist das Auto vom Herrn Zundt«, sagt Seifert. »Das ist ein angesehener Bürger. Und außerdem sehe ich einen groben Fall von vorsätzlicher Sachbeschädigung. Und das ist auch etwas, was wir in unserem Dorf nicht haben wollen.« Er holt ein Handy hervor und
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