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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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kennen gelernt – hat in einer Besprechung in der FAZ das Elaborat gnadenlos verrissen, der Kollege Schatte müsse sich bei seinem spätpubertären Ausflug in die libysche Wüste wohl wirklich einen Schatten eingefangen haben . . .«
    »Ein Wortspiel mit dem Namen?«, fragt Berndorf missbilligend und kramt in seiner Erinnerung. Aber außer den langen schwarzen Haaren, einer vorspringenden Nase und einer Hornbrille finden sich keine weiteren Bruchstücke, die sich zu einem Gesicht zusammensetzen ließen. Irgendwann, irgendwie hatte Ernst Moritz Schatte ein Mädchen wie Franziska herumgekriegt. Und Barbara hat er immerhin beeindruckt . Aber wer versteht schon die Frauen?
    Und irgendwann war Schatte im Feuilleton des Aufbruch abgelegt worden. Vielleicht hat er das nicht besonders gut ertragen. Vielleicht war er der Anrufer. Ein Denunziant aus Eifersucht? Mach ein Fragezeichen dazu. Ein dickes . . .
    Mit Falkenaugen hat der Adler-Wirt Barbaras leeres Glas erblickt und erscheint am Tisch und fragt, ob er kassieren darf. Das Paar schaut sich an, Barbara nickt, und Berndorf zahlt, ein Mineralwasser und einen Auggener Schäf und zwei Portionen Wurstsalat mit Zwiebeln.

    Dann steht das Paar auf und geht.
    Aber an der Theke bleibt es stehen und fällt sich in die Arme und küsst sich. Der Wirt guckt, die Stammgäste gucken und reden für einen Augenblick lang nicht von der Europameisterschaft, nur die Seminarrunde hat es noch immer mit Sloterdijks Menschenpark. Als eine Studentin dann doch aufmerksam wird, ist das Paar schon in der linden Sommernacht verschwunden.
     
    Arm in Arm schlendern Barbara und Berndorf durch Hendesses dunkle Gassen. Hier hat ihre Geschichte begonnen, denkt Berndorf, und es ist einer der Augenblicke, in denen er, grau und pensioniert und hinkefüßig, den Boden verlassen und durch die Nacht schweben möchte wie ein Chagall’scher Bräutigam.
    Wie damals. In dem Jahr vor dem Unglück.
    Und schon ist er wieder auf dem Boden. Sieht Barbara vor sich. Die rasende, empörte, verzweifelte Barbara von damals. Die den Haufen Zeitungsausschnitte mit beiden Händen packt und ihn ins Spülbecken knüllt und anzündet.
    Ich will das nicht lesen. Damit hast du nichts zu tun.
    Schlagzeilen krümmen sich im Feuer.
    Aber das warst doch nicht du, der das getan hat.
    Qualm steigt beizend hoch.
    Glaub mir, verdammt noch einmal, dass es nicht deine Schuld ist.
    Bläulich gelb fressen sich Flammen durch Vorspänne und Kommentarspalten.
    Schmink dir deine beschissene Verantwortung ab. Wieso sollst du die Verantwortung haben, wenn ein Idiot neben dir durchdreht und losballert?
    Verkohltes Papier kräuselt sich schwarz über der Glut.
    Mir ist es verdammt noch einmal egal, was sie in der Szene über mich und dich und uns daherreden. Es gibt ein Einziges, das mir nicht egal ist. Willst du es wissen? Dass du mir wieder in die Augen schaust. Wenigstens das.

    Lang ist’s her.
    »Da vorne ist dieser kleine Platz«, sagt an seinem Arm Barbara. »Weißt du noch?«
    Natürlich weiß er es.
    Eigentlich ist es nicht einmal ein Platz, sondern nichts weiter als die Einmündung einer zweiten Gasse, an jenem ersten Abend waren sie hier vorbeigekommen, ziellos durch Hendesse wandernd, alle beide illuminiert von des Adler-Wirts Obstschnäpsen, und auf dem kleinen Platz, inmitten der im Mondlicht hingeduckten Häuser, waren sie stehen geblieben und hatten sich angesehen und hätten sich eigentlich in die Arme fallen müssen.
    Aber bevor sie es tun konnten, waren sie beide erstarrt.
    Denn etwas war merkwürdig an diesem Platz. Sie hatten gelauscht. Aber wirr im Kopf vom Fusel und dem, was da noch werden sollte, dauerte es eine Weile, bis sie begriffen.
    Es waren zwei Schläfer. Einer im Haus links, einer im Haus rechts. Der eine schnarchte ruhig, ein bedächtiges handwerksmäßiges Sägen. Der andere setzte die Synkopen, zu jedem dritten Sägezug fiel er scharf und hoch ein, manchmal war es auch nur beim vierten, ein sehr unordentlicher Schnarcher.
    Berndorf und Barbara hatten sich angesehen, und Barbara legte den Finger an den Mund, nicht stören!
    Sie lächelten, selig und albern zugleich, und unversehens war es klar, dass es an der Zeit war, ins Bett zu gehen. Spend the night together.
     
    Fast drei Jahrzehnte ist das her, denkt Berndorf. Arm in Arm gehen sie durch die Gasse auf die kleine Einmündung zu und bleiben unterm Sternenlicht stehen.
    Es ist still, nichts ist zu hören, von ferne scheppert die letzte OEG-Bahn.
    »Psst!«,

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