Die schwarzen Raender der Glut
macht Barbara, und wieder legt sie den Finger an den Mund. Ein fast unhörbares »Chrrrpfüh!« dringt von links durch geschlossene Fensterläden an ihre Ohren.
Langsam, sonor antwortet ein zweiter Schläfer von rechts. »Siehst du«, flüstert Barbara, »nichts ist verloren.«
Noch einmal küssen sie sich und entscheiden, dass es – wieder einmal! – Zeit ist, ins Bett zu gehen.
Ins gemeinsame Bett.
Entschlossen nehmen sie den Weg zur Tiefburg unter die Füße, wo es einen Taxenstand gibt. Am Adler vorbei kommen sie zur Mühltalstraße, und richtig hält vor dem Zebrastreifen ein Taxi, aber leider ist es besetzt, und so gehen sie weiter zur Tiefburg und überqueren den Zebrastreifen.
Arm in Arm verschwindet das Paar auf der anderen Straßenseite, das Taxi fährt weiter, Birgit Höge überlegt sich, wo sie den Fahrer halten lassen soll. Nicht vor dem Haus, 50 Meter unterhalb. Wenn sie im Haus sind, sollen sie nichts hören, absolut nichts. So lange nicht, bis Birgit vor ihnen steht.
Die Motorhaube des kleinen japanischen Autos war nur ein wenig eingedrückt gewesen. »Trotzdem können Sie damit nicht weiterfahren«, hatte einer der Verkehrspolizisten gesagt, und wirklich war etwas kaputt oder gerissen und das Auto tat es nicht mehr. Später hatte sie von der Wache der Autobahnpolizei aus einen aufgeregten Menschen angerufen, der der Offenburger Vertreter der Mietwagen-Firma war und der ihr das Auto weder reparieren noch ihr einen Ersatzwagen geben konnte oder sonst zu irgendetwas nütze gewesen wäre. Schließlich war sie mit einem Taxi zum nächsten Bahnhof gefahren und hatte sich dort entschieden, den letzten Zug zurück nach Heidelberg zu nehmen. Sie war zu aufgelöst, um ihre Mutter zu ertragen oder gar die anderen Bridge-Damen.
Noch auf der Autobahn war ihr der Verdacht gekommen, dass Hubert und sein Trampel sie ganz einfach ausgetrickst hatten. Die brauchten sich ja gar nicht am Nachmittag zu treffen, wenn sie das ganze Wochenende zur freien Verfügung hatten. Bettina würde den Nachmittag zu Hause sein und dann eine Freundin besuchen, nein, Mama, ich übernachte dort und komm dann am Sonntag zurück, wir müssen für die
Schlussfeier üben, mach dir keine Sorgen, ich bleib schon brav . . .
Vielleicht wird sich die Sache mit dem Viehtransporter noch als Glücksfall herausstellen. Schwein gehabt. Sie würde Hubert stellen. Mittendrin. »Halten Sie hier.« Sie bezahlt und steigt aus. Langsam geht sie das Trottoir entlang, an den anderen Reihenhäusern vorbei, fast überall ist es dunkel, aus einem der Fenster flimmert das blaue Licht des Fernsehers, die Nacht ist still.
Ihr Haus ist dunkel. Maunzend streicht die Katze an ihren Füßen vorbei. Geh! Das ist jetzt nicht die Zeit. Morgen, Katze. Gleich wird es laut und hell und lärmend. Geräuschlos schließt sie die Türe auf und lauscht. Die Katze entgleitet in die Dunkelheit.
Was hat er aufgelegt? Love me tender vielleicht, oder Like a bird on a wire? Vielleicht will er sich so jung fühlen, wie sie es ist.
Nichts ist zu hören. Keine Musik. Keine Zeit zum Wechseln der CD?
Behutsam steigt sie die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Kein Quietschen. Kein Rumpeln und Kichern. Kein Stöhnen. Schläft man, erschöpft, ausgefickt?
Sie öffnet die Schlafzimmertür. Noch immer nichts zu hören. Sie drückt auf den Lichtschalter. Helligkeit flammt auf, und im Bett richtet sich ein schlaftrunkener Hubert Höge auf. Wo ist sein Trampel?
Die Bettdecke neben Hubert ist glatt und unberührt.
»Was ist . . .? Ich denk, du bist bei deiner Mutter.«
Plötzlich bricht Birgit in Tränen aus. Sie wirft sich auf das Bett und rollt sich zu Hubert und klammert sich an ihn.
»Es war alles so schrecklich«, heult sie, »sag mir, dass es vorbei ist . . .«
Durch das Glasfenster, das den im Kyffhäuser schlummernden Kaiser Friedrich Barbarossa zeigt, fällt unpassende Morgensonne und malt blaugrünrote Muster auf die Tischdecke
im kleinen Frühstücksraum des Tübinger Verbindungshauses der Suevo-Danubia. Am Tisch sitzt Florian Grassl, die zusammengeflickte Augenbraue unter einer Mullbinde verborgen, und plaudert bei einer zweiten Kanne Kaffee mit einem der Chargierten, einem ernsthaften, schon leicht kahlköpfigen Doktoranden der Betriebswirtschaft. Sie unterhalten sich über den akademischen Nachwuchs, wie es sich fügt, war Grassl selbst einmal Fuchsmajor gewesen, natürlich nicht bei der Suevo-Danubia und natürlich nicht in Tübingen, sondern in Erlangen,
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