Die schwarzen Raender der Glut
sich genommen und gehen nun durch die Heidelberger Hauptstraße, um irgendwo noch einen richtigen Kaffee zu trinken. Sie gehen so beschwingt, wie das nur irgend möglich ist, wenn mann und frau eine Nacht mit sehr wenig Schlaf hinter sich haben und ein wenig knieweich sind. Es ist ein Morgen, als ob sie Ferien hätten, wovon freilich keine Rede sein kann, denn Barbara muss am Sonntag zurück nach Berlin, das Semester ist schließlich noch in vollem
Gange, sodass Berndorf erst einmal die Frage hat unterdrücken müssen, warum sie sich den Flug überhaupt zugemutet habe . . . Aber Berndorf hat über die Frauen wenigstens so viel gelernt, dass man eine solche Frage nicht stellt. Jedenfalls dann nicht, wenn einem eine solche Frau ins Hotel schneit.
Barbara will wissen, was Berndorf heute tun wird. Berndorf antwortet, dass er mit ihr zusammen sein will.
»Das kommt leider nicht in Frage«, sagt Barbara. »Du hast einen klaren Auftrag. Und den wirst du erfüllen. Du kannst gar nicht anders. Also?«
Berndorf sagt kleinlaut, dass er nichts weiter vorhat als lauter Mäusedreckgeschnüffel. Er will sich in des diskreten Predigers Gemeinde umhören. Und falls er jemanden im Ulmer Neuen Bau erreicht, Tamar oder Kuttler, sollen die mit ein wenig Amtshilfe herausfinden, ob diese Birgit Schiele irgendwo an Rhein oder Neckar zu finden ist und wie sie gegebenenfalls heute heißt. Und vielleicht finden sie auch heraus, wo dieser wohnungsvermittelnde Cineast Steffens abgeblieben ist. Außerdem muss ihm einfallen, wie der Kollege heißt, der damals in der Telefonzentrale den Anruf mit den tückisch präzisen Angaben entgegengenommen hat.
»Willst du mit Schatte sprechen?«
Berndorf zögert. »Sicher. Ja doch. Nur sollte ich vorher wissen, ob damals eine Frau angerufen hat oder ein Mann.«
»Soll ich dir nun ein Gespräch mit Schatte vermitteln oder nicht?«
»Ich bitte dich sehr darum«, sagt er eilig.
»Das ist kein Problem. Aber täusche dich nicht«, sagt Barbara. »Wer Schatte nicht kennt, serviert ihn nicht so ohne weiteres ab . . . Damals im Adler waren das besondere Bedingungen.«
»Das musst du mir erklären«, sagt Berndorf.
»Ach«, antwortet Barbara, »wenn eine Frau wirklich entschlossen ist, dann ist ihr kaum ein Mann gewachsen. Das kann man nicht erklären. Das ist einfach so.«
Was soll Berndorf dazu sagen? Glücklicherweise ist er auch
gar nicht gefragt, denn es kommt ihnen Sigmund Freud entgegen, mit ausgebreiteten Armen, die sich naheliegenderweise nicht um ihn schließen wollen, sondern um Barbara. Es bricht allgemeines Entzücken aus, von dem sich Berndorf ein wenig ausgeschlossen fühlt. »Und dies ist Berndorf«, wird er Sigmund Freud vorgestellt, der es aber gar nicht ist, sondern nur dessen Bart hat. Außerdem ist er – auch – ein alter Freund aus Barbaras Heidelberger Tagen.
Man geht ins Schafheutle einen kleinen trockenen Weißen trinken, Berndorf bestellt bockig einen Kaffee. Der alte Freund heißt Armand von Tressen-Kositzkaw, ist in der Tat Psychoanalytiker und trotzdem – findet Berndorf – eigentlich ein netter Mensch mit spintisierenden grünen Augen. Am Ringfinger seiner linken Hand ist ein heller Streifen zu bemerken, überflüssigerweise teilt er auch gleich mit, dass er frisch geschieden sei. Das tue ihr aber Leid, meint Barbara.
»Kein Beileid«, wehrt der alte Freund ab, »aber auch keine Glückwünsche. Ehrlich gesagt, ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll, eigentlich komme ich mir vor wie frisch gehäutet, irgendwie bin ich meine alte Haut endlich los, aber was die neue taugt, weiß ich wirklich nicht . . .«
Bei deinen galanten Vergleichen wirst du noch lang gehäutet bleiben, denkt Berndorf und rührt in seinem Kaffee, bis ihm einfällt, dass das ziemlich sinnlos ist, weil er keinen Zucker nimmt. Warum will ihm nicht einfallen, wer der Kollege in der Telefonzentrale war, damals, alles dreht sich um damals, im Augenblick will ihm nur einfallen, wie Georg Christoph Lichtenberg einmal in den unergründlichen Tiefen der Erinnerung und schier verzweifelt nach dem Namen eines dänischen Buchhändlers gesucht hat.
Barbara und Tressen-Kositzkaw reden über alte Freunde, als sei dieses Heidelberg ein ganzes Nest voll Kellerasseln alter Freunde, von Zeit zu Zeit wirft Barbara einen Blick zu Berndorf. Gleich ist es überstanden, soll der Blick bedeuten, oder irgendetwas Ähnliches. Der alte Freund klagt darüber, wie sich die Zeit verändert habe und die alten Freunde
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