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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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mit ihnen.
»Merkwürdige Dinge tun sich, gespenstische geradezu, dieser Tage hatten wir größeren Auftrieb um einen unserer Jura-Professoren, wenn manche Männer in ein bestimmtes Alter geraten, kommt es über sie und sie müssen Bücher schreiben, wie 17-Jährige Gedichte, Gott soll mich schützen!«
    Berndorf übt sich in Geduld, für etwas muss es schließlich nütze sein, dass er ein ganzes Berufsleben lang Schnüffler gewesen ist, Schnüffler haben Geduld gelernt, trotzdem will ihm der Name nicht einfallen, auch jener in der Zentrale war ein Schnüffler gewesen, ein lausiger übrigens, das weiß er noch oder vielmehr ist es ihm gerade eingefallen.
    »Ja, und über diesen Juristen ist es gekommen wie eine Offenbarung, dass an allem die political correctness schuld ist«, fährt Tressen-Kositzkaw fort, »am Benzinpreis, an den Schwarzfahrern in der Straßenbahn und den Graffiti in den Professorenscheißhäusern, es muss ihm da der Geist von Hamlets Vater begegnet sein . . . Das alles hätte weiter keine Bedeutung gehabt als eine lokale, wenn der Verlag zur Vorstellung des Werks nicht einen unserer Großschriftsteller eingeflogen hätte, den, der das Grundrecht aufs Wegsehen erfunden hat . . .«
    Gjörwell. Kein Däne, ein Schwede. Lichtenberg kam drauf, als er sich schwedische Namen vorsagte.
    »Wir erleben«, sagt Tressen-Kositzkaw, »die entsetzliche Rückkehr zu einer entsetzlichen Normalität, es sind die Spätfolgen einer gescheiterten Trauerarbeit, und irgendwie sind wir selber schuld, denn wir haben es zugelassen, dass sie abgebrochen wurde, dass an ihre Stelle diese selbstgerechte Anklägerpose getreten ist. Erinnerst du dich noch an diese Sprechchöre USA – SA – SS? Damit haben wir, unwissend und unbewusst erleichtert, unsere Eltern freigesprochen, uns wieder mit ihnen versöhnen dürfen. Nicht sie waren die Mörder, die Amerikaner waren es, und jetzt haben wir die Bescherung . . . Leute wie Schatte – du erinnerst dich sicher an ihn – spielen noch heute auf dieser Klaviatur, und wenn er von sich behauptet, er sei sich treu geblieben, dann hat er sogar Recht. Denn
das politische Credo dieser Neuen Rechten ist im Kern nichts anderes als die Verweigerung von Trauerarbeit ...«
    Barbara wirft wieder einen dieser Blicke zu Berndorf, aber der wird nun doch allmählich ungehalten. Trauerarbeit ist ein Begriff, mit dem er nicht viel anfangen kann, Mord ist Mord, Mörder gehören eingesperrt, aber wie hält er es mit den Denunzianten? Zwei Tische weiter sitzen zwei Mädchen, grell falschblond die eine, rastazöpfig die andere, Prosecco trinkend zur Erholung nach der Nachtarbeit in einem Hochhaus-Appartement, jetzt fällt es Berndorf auch ein, was mit dem lausigen Schnüffler in der Telefonzentrale war, eine üble Geschichte mit einem Mädchen, das er für sich hatte arbeiten lassen. Nachweisen konnte man es ihm nicht, aber man hatte ihn aus dem Schichtdienst herausgenommen.
    Tressen-Kositzkaw spekuliert inzwischen über die radical personality, und dass sie aus einer unverarbeiteten, misslungenen Ablösung von der Vaterfigur resultiere . . .
    Da hast du dir aber eine schöne Couch durch die bleierne Zeit gerettet, denkt Berndorf. Ein Erbstück des Sozialistischen Patientenkollektivs? Neu gepolstert, versteht sich, und mit dem feinen Leder vom Büffelrind bezogen. Ob Troppau wohl darauf gelegen hat? Eher nicht. Der hat sich die Gummihammer-Pillen verschreiben lassen. In seinem Badezimmer hab ich’s gesehen. Was schaut mich Barbara an? Der Genosse Halt-das-mal und sein ungelöster Ödipus-Komplex interessieren mich eher nicht, was kann ich dafür, dass der baltische Adel keine Trakehner mehr züchten kann und sich auf Neurosen verlegt hat. Baltisch? Tressen-Kositzkaw. Klingt halt so. Oder ostpreußisch. Es trinkt der Mensch, es säuft das Pferd / In Insterburg ist’s umgekehrt. Ostpreußen?
    Steguweit.
    Berndorf entschuldigt sich und steht auf und geht zu einer Telefonkabine, die es im Schafheutle dankenswerterweise gibt, denn mit dem Handy im Lokal zu telefonieren, ist ihm doch zu blöd, und klingelt Sielaff heraus, der an diesem späten Samstagmorgen noch nicht ganz nüchtern klingt.

    »Tschuldige, aber ich such einen Kollegen von uns, damals Mannheim, Revier Mitte, Steguweit. Sagt dir der Name was?«
    »Warum gehst du fauler Sack eigentlich in Rente, wenn man dann doch keine Ruhe vor dir hat? Nicht einmal zu nachtschlafender Zeit.«
    »Gleich darfst du weiterschlafen. Steguweit heißt der

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