Die Schwarzen Roben
weit mehr als nur religiösen Zeremonien.
Die Sonne schien heiß auf den Marmorboden, und die Kaiserlichen Wachen standen da wie Statuen. Dann legte Ichindar mit eisiger Bedächtigkeit die zu Fäusten geballten Hände auf die Lehnen des Goldenen Throns. Wut ließ sein Gesicht erstarren. Doch seine Stimme klang beherrscht wie immer, wenn er sich zu einer Antwort herabließ.
»Mylord von den Anasati«, erklärte er, und präzise ausgesprochene Konsonanten hallten von der hohen Kuppel über ihm wider, »es würde uns besser gefallen, Euch unseren Sohn zu präsentieren, wenn die Götter sich entscheiden, uns mit einem Erben zu segnen. Was unsere Tochter Jehilia betrifft – falls der Lord der Anasati Gefallen daran findet, dem Klatsch ihrer Ammen zu lauschen, die jedem Kind, das sie abgöttisch lieben, außerordentliche Schönheit zuschreiben, gewähren wir Euch die Erlaubnis für ein Porträt, das wir von einem unter unserem Schutz stehenden Künstler anfertigen und zum Anwesen der Anasati bringen lassen. Dies ist unser Wille.«
Der traditionelle Satz erklang in der Stille. Ichindar war keine Galionsfigur wie seine Vorfahren, sondern ein Kaiser, der um den Erhalt seiner Autorität kämpfte. Mara lehnte sich zurück, plötzlich schlaff vor Erleichterung; sein Umgang mit Jiros Aggression war beispiellos gewesen. Ein Porträt von einem Kind! Ichindar hatte dem Dilemma geschickt die Spitze genommen. Doch traurigerweise blieb das größere Problem. Jiro hatte als erster gewagt, den Gedanken auszusprechen, daß Jehilia der Weg für einen Ehemann zum Goldenen Thron werden würde. Sie würde nicht länger ein hübsches, kaiserliches Kind bleiben, sondern eine heiß umkämpfte Trophäe im Großen Spiel werden. Mara, die einst als Mädchen abrupt aus dem Orden der Göttin Lashima in die Wirren der blutigen Politik des Kaiserreiches gestoßen worden war, empfand Mitleid für das Kind.
Die Zügel der Herrschaft würden Ichindar an dem Tag aus den Händen gleiten, da seine älteste Tochter heiratete. Solange er nicht einen männlichen Erben zeugen konnte, würden die Traditionalisten Jehilia dazu benutzen, ihn zu schwächen, besonders, wenn ihr Mann ein mächtiger Edler von hohem Rang war.
Unten am Geländer der Bittsteller stand Jiro und verschränkte in althergebrachtem kaiserlichem Gruß die Arme über der Brust. Er verbeugte sich lächelnd vor der Ehrenwache des Kaisers. »Ich danke meinem Herrscher. Ein Porträt von Jehilia an der Wand in meinem Zimmer wäre in der Tat sehr befriedigend.«
Es war eine böse Spitze; Jiro hatte es allerdings nicht gewagt, »an der Wand in meinem Schlafzimmer« zu sagen, wie Mara bemerkte. Doch daß er sich herabgelassen hatte, eine solch armselige Bemerkung in einer öffentlichen Anhörung von sich zu geben, zeugte von seiner Verachtung für den Mann auf dem Thron. Und Mara begriff plötzlich noch etwas: Jiro hätte sich nicht so bösartig verhalten, wenn sie abwesend gewesen wäre. Die höhnischen Bemerkungen gegenüber Ichindar hatten auch sie reizen sollen.
»Ich fürchte, heute war ich keine große Hilfe für Euch«, murmelte sie, während sich die großen Türen hinter dem Lord der Anasati schlossen.
Ichindar war schon im Begriff, voller Sympathie die Hände nach ihr auszustrecken, da besann er sich rechtzeitig seiner formellen Audienz und riß sich zusammen, bevor ein Berater eingreifen mußte. »Mylady, Ihr habt unrecht«, murmelte er zurück. Seine Haare hingen über die Stirn, zu feucht, um von den fächernden Bewegungen des Jungen aufgewirbelt zu werden. Jindars Fäuste umklammerten noch immer die Stuhllehnen. »Wärt Ihr nicht anwesend gewesen, fest wie ein Fels zu meinen Füßen, hätte ich sicherlich die Beherrschung verloren!« Er endete mit einer bissigen Bemerkung, die er gegenüber seinem Feind zurückgehalten hatte, so sehr er ihn auch erzürnt haben mochte. »Es muß schon ein sehr gewissenloser Mann sein, der sich dazu herabläßt, einen Menschen über die Liebe zu seinem Kind anzugreifen.«
Mara schwieg. Sie hatte viele solcher gewissenloser Männer kennengelernt. Ihre Erinnerung wandte sich zwei ermordeten Kindern zu, einem Jungen und einem Mädchen, beide noch keine fünf Jahre alt – die Kinder des verstorbenen Lords der Minwanabi –, die als direkte Folge ihrer Handlungen starben. Ihre Hand ruhte auf der weichen Wölbung ihres Bauchs über ihrem ungeborenen Kind. Sie biß entschlossen die Zähne zusammen. Sie hatte einen Sohn verloren und ein weiteres Kind von
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