Die Schwarzen Roben
Hokanu, das sie niemals kennengelernt hatte. Wieder schwor sie, daß all diese jungen Wesen ihr Leben nicht umsonst hatten lassen müssen. Sie würde sterben, und der Name der Acoma würde von dem Zorn der Versammlung der Magier zu Staub zerfallen, bevor sie Jiro das Amt des Kriegsherrn wieder einführen und die ungeheuer blutigen Konflikte zurückbringen ließ, die im Namen der Ehre immer einen Teil des Spiels des Rates ausgemacht hatten.
Jetzt, da die ersten Schritte in Richtung einer Veränderung getan waren, war sie fest entschlossen, keinen Zentimeter mehr zurückzuweichen.
Ihr Blick begegnete Ichindars, als hätte sie den Gedanken laut ausgesprochen. Dann öffneten sich die Türen, und der Kaiserliche Herold kündigte den nächsten Bittsteller an.
Es schien noch eine lange Zeit bis Sonnenuntergang.
Hokanu streifte die schweißfeuchten Reithandschuhe aus Leder ab. »Wo ist sie?« verlangte er von der weißgekleideten Person zu wissen, die den Türeingang versperrte.
Doch der unglaublich fette Diener rührte sich nicht. Sein strahlendes, rundes Mondgesicht wurde starr vor Mißfallen über die armselige Etikette des Lords der Shinzawai angesichts seiner unschicklichen Eile. Der kaiserliche Hadonra war ein Mann, der auf Nuancen achtete, und er führte den gewaltigen Komplex der privaten Gemächer des Kaisers mit unbeirrbarem, kaltherzigem Geschick. Niemals verpesteten Motten die kaiserlichen Toiletten, die Bediensteten erledigten ihre Arbeiten wie geölte Uhrwerke, und niemals störten ängstliche Ehemänner den morgendlichen Rundgang mit Befehlen, die auf das Schlachtfeld gehörten.
Fest im Eingang der Vorhalle verankert, verschränkte der riesige Mann seine fleischigen Arme. »Ihr könnt zu dieser Zeit nicht vorbei, Mylord.«
Hokanu enthielt sich einer ausgesprochen gehässigen Antwort. »Meine Frau, so sagte man mir, liegt seit zwei Tagen in den Geburtswehen. Ich bin so schnell es ging auf dem Rücken eines Pferdes von meinem Landsitz hinter Silmani hierhergeeilt und habe nicht geschlafen. Ich will jetzt wissen, ob es meiner Frau gutgeht und ob mein Erbe gesund ist. Wenn Ihr mich also bitte freundlicherweise zu ihren Gemächern gehen lassen würdet …!«
Der kaiserliche Hadonra kräuselte die Lippen. Der Geruch der barbarischen Tiere, der Hokanu umwehte, war eine Beleidigung. Egal, wie mächtig der Lord sein mochte, egal, ob er ein unerschütterlicher Unterstützer des Lichts des Himmels war – er stank nach Pferden und hätte erst baden sollen, ehe er sich in diesen Hallen blicken ließ. »Ihr könnt nicht vorbei«, sagte der Mann gelassen. »Der Kaiser hat eine Sobatu-Vorstellung für heute morgen bestellt.« Er bezog sich auf eine bestimmte Form der klassischen Oper, von der insgesamt nur zehn komponiert worden waren. Dann, als wäre Hokanu nicht gebildet und der Sohn eines herausragenden Hauses, fügte der Hadonra hinzu: »Die Kaiserliche Shalotobaku-Truppe benutzt die angrenzenden Kammern zum Ankleiden, und ich muß Euch wohl nicht daran erinnern, daß niemand außer der Familie des Kaisers einen Blick auf sie werfen darf.«
Hokanu unterdrückte seine Gereiztheit. Er war zu stolz, als daß er mit einem Diener über Nuancen in der Genealogie streiten wollte. Er riß sich zusammen, um nicht aus Wut zu seinem Schwert oder zu Drohungen zu greifen. »Dann also, guter und treuer Diener, werdet Ihr Eure Pflicht gegenüber den Schauspielern des Kaisers erfüllen und mir einen Weg um den Flügel herum zeigen, den sie gerade benutzen.«
Der Hadonra stemmte die Hacken in den Boden und reckte sein Kinn noch weiter empor. »Ich werde nicht gehen, Mylord. Es ist meine Pflicht, diese Tür zu bewachen und dafür zu sorgen, daß niemand vorbeigeht, der nicht von kaiserlichem Blut ist.«
Diese Bemerkung war zuviel für die Geduld eines besorgten Vaters. Hokanu verbeugte sich von der Taille an, als wäre er einverstanden mit dem lächerlichen Beharren des Hadonras auf Etikette. Dann preschte er ohne Vorwarnung vor. Seine nur schwach mit Muskeln versehene Schulter schlug kräftig in den Bauch des fetten Dieners, der keuchte und grunzte. Dann klappte der kaiserliche Hadonra zusammen und fiel zu Boden, ohne Atem für eine wütende Antwort zu haben.
Hokanu hätte ohnehin nichts mehr hören können, denn er hatte zu laufen begonnen, seit er in die Vorhalle eingedrungen war. Zwei Nächte und einen Tag auf dem Rücken eines Pferdes hatten ihn nicht so steif gemacht, daß sein Körper ihm nicht mehr gehorchen würde.
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