Die schwarzen Wasser von San Marco
nieder, um das Fallreep aus dem Wasser zu fischen. Calendar und ich halfen ihnen, es herauszubugsieren. Schließlich lag es vor Nässe glänzend zwischen uns. Calendars Blick sprang zwischen dem langen Brett und der Reling von Barberros Schiff hin und her. Ein Tau hing am gewölbten Schiffsrumpf herunter und endete eineinhalb Mannslängen über dem Pflaster. Mit einigem Geschick hätte man daran hochklettern können, doch ich bezweifelte, dass einer von uns über die nötige Gewandtheit verfügte. Calendar seufzte und wies auf das Fallreep.
»Also gut, legen wir es an und gehen hinauf.« Er wandte sich an mich. »Ich gehe nicht davon aus, dass uns schwer bewaffnete Männer an Deck empfangen und nach einem Geleitbrief fragen. Was meinen Sie?«
Ich zuckte mit den Schultern. Es brauchte die acht Arme der zwei Wachen sowie Calendars und meiner, um das ungefüge Stück in der Reling oben einzuhängen. Ich deutete auf die Taue, an denen das Fallreep vorher aufgehängt gewesen war und deren Enden nun abgeschnitten in der leichten Brise schwangen. Calendar grunzte. Das Fallreep rastete mit seiner Halteleiste klappernd an der Reling ein. Calendar trat kräftig dagegen, aber es schien zu halten. Nichts hatte irgendeine Reaktion der Besatzung hervorgerufen.
Die beiden Wachen nahmen ihre Spieße wieder auf und schritten vorsichtig nach oben. Calendar folgte ihnen. Das Fallreep bog sich durch und knarrte und wackelte bedenklich. Die zwei Männer vorn sprangen vom Ende des Fallreeps auf Deck. Calendar drehte sich zu mir um, und ich kletterte zu ihm hinauf, während er sich ebenfalls auf das Deck des Schiffs hinunterschwang. Die beiden anderen Wachen kamen hinter mir nach.
Das Schiff wirkte klein, wenn man erst an Bord war; sobald die geschwungene Bordwand nicht mehr vor einem in die Höhe ragte, verlor es an Mächtigkeit. Man konnte sich kaum vorstellen, dass es Barberro und seiner Mannschaft als Behausung diente. Um den Mast herum hing eine Vielzahl von Tauen in schlaffem oder gespanntem Zustand wie eine Ansammlung von neuen und alten Spinnennetzen. Das Deck schwankte träge unter unseren Füßen. Die Planken waren grau und silbern vor Alter; wo man auf der Innenseite der Reling noch Farbe erkennen konnte, blätterte sie in großen Flecken ab. Es roch nach altem, in der Sonne dörrendem Holz. Die Hitze war erstaunlich. Der Heckaufbau schien die Seebrise abzufangen, und das erwärmte Holz, auf das die Sonne jeden Tag viele Stunden ungehindert prallte, strömte seine Wärme aus. Vom Bug her klopfte etwas in regelmäßigem Rhythmus: ein Fass, das auf der Seite lag und vom Schlingern des Decks immer wieder gegen die Reling geschlagen wurde. Das Klopfen wirkte laut. Ich hörte von fern die Geräusche von den Marktbuden auf dem Markusplatz, keine halbe Meile vor uns, doch diese Laute kamen aus einer anderen Welt.
Calendar und die Wachen blickten sich ratlos um. Keine Menschenseele war zu sehen. Die zwei großen Ladeluken, die vor und hinter dem Mast in der Deckbeplankung eingelassen waren, schienen seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet worden zu sein; die Scharniere waren verrostet. Zwei Wachen versuchten probeweise, eine von ihnen anzuheben, aber sie war entweder von innen versperrt oder verklemmt. Trocknende Kleckse von Vogelkot sprenkelten die Luke sowie die Deckplanken unter dem Quermast. Ich spähte nach oben, konnte aber keine Vögel erblicken. Das Segel war gerefft, grau und stockfleckig. Barberros Schiff war sicher noch seetüchtig; sich ihm für eine Reise anzuvertrauen, die aufs offene Meer hinausführte, wäre in meinen Augen dennoch ein unwägbares Risiko gewesen. Wenn er die Anker lichtete, dann schlich er sich mit seinem Seelenverkäufer sicherlich an der Küste entlang und verließ das rettende Festland nicht weiter, als die Besatzung zur Not mit dem wie ein gestrandeter Fisch auf der Seeseite des Decks liegenden Beiboot überbrücken konnte. Ich bückte mich und spähte unter das umgedrehte Boot hinein. Außer dass die Deckplanken dort dunkler wirkten, weil der Schatten des Bootes sie vor dem Ausbleichen bewahrt hatte, entdeckte ich nichts, was sich vom Rest des Decks unterschieden hätte.
Einer der Bewaffneten zischte plötzlich verächtlich und deutete auf eine Stelle vor dem Heckaufbau. Drei Ratten kauerten sich dort zusammen und starrten zu uns herüber. Der Mann trat einen Schritt auf sie zu und stampfte heftig mit dem Fuß auf; die Tiere stoben lautlos auseinander und verschwanden im Schatten unter dem Heck.
Weitere Kostenlose Bücher