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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Ende empfinden; was ich fühlte, war Abscheu und Mitleid. Wer immer Barberros Schiff geentert und seine Vorräte unbrauchbar gemacht hatte, war auch nicht davor zurückgeschreckt, Barberros Leutnant unschädlich zu machen. Auf einem Schiff gibt es viele lange eiserne Spiere und Haken, zu welchen geheimnisvollen Zwecken die Seeleute sie auch immer verwenden. In diesem Fall hatte man Fulvio mit ihnen an die Kabinenwand genagelt.
    »Madonna santa« , keuchte eine der Wachen.
    »Heilige Verena, bitte für ihn«, sagte ich rau – was immer die Schutzheilige der Mörder und Diebe für Fulvio an guten Worten dort einlegen konnte, wo er jetzt war. Dann wurde mir der Geruch und der Anblick der dunkel glänzenden Lache zu viel, die sich um Fulvios Füße gesammelt hatte, und mehr noch die unmissverständlichen nassen Spuren der kleinen Pfoten, die von der Blutlache aus in allen Richtungen davonführten. Ich wirbelte herum, blieb polternd im Türrahmen hängen, krallte meinen Weg blindlings hindurch und floh auf das Deck hinaus, wo die beiden verbliebenen Wachen mich erstaunt ansahen. Das Wasser der Lagune nahm die Reste des Haferbreis von heute Morgen auf. Als ich mich stöhnend umdrehte, waren die zwei Männer bereits zu Calendar und ihren Kameraden in Barberros Kabine geeilt. Ich setzte mich zu dem umgedrehten Beiboot auf die Planken und starrte angestrengt auf die Maserung im altersgrauen Holz, um den Anblick von Fulvios gekreuzigtem Leichnam zu verdrängen.
    »Jemand hat ganz offensichtlich ein Exempel statuiert«, sagte Calendar eine Weile später, als er sich neben mich setzte. »Unter Deck ist die restliche Mannschaft. Man hat sie zusammengetrieben, gefesselt, geknebelt und ihnen die Kehlen durchgeschnitten. Fulvio scheint als Einziger gekämpft zu haben. Vielleicht haben die anderen ihre Gegenwehr aufgegeben, als sie sahen, was man mit ihm anstellte.«
    »Barberro?«, fragte ich heiser.
    »Ist nirgends zu finden. Wir haben die Mannschaftsquartiere und die Laderäume abgesucht. Entweder haben sie ihn mit einem Gewicht an den Füßen über Bord geworfen, oder sie haben ihn mitgenommen.«
    »Was glauben Sie, wann das passiert ist?«
    »Heute im Morgengrauen, dem Zustand des Blutes nach zu schließen. Die beste Zeit für so etwas. Es ist bereits hell genug, um an Bord zu gelangen; andererseits schlafen die meisten Leute noch oder sind bei der Essenszubereitung, sodass der eine oder andere Krach unbeachtet bleibt.«
    »Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen bereits von den beiden Männern erzählt habe, die in jener Nacht, nachdem Sie gegangen waren, Barberro einen Besuch abgestattet haben. Wie gesagt, sie sprangen ziemlich rücksichtslos mit ihm um; ohrfeigten ihn vor den Augen seiner Besatzung. Sie wirkten auf mich wie die Leibwächter eines Patriziers.«
    Calendar nickte und warf einen Blick zum Deckaufbau hin. »Das hier sieht aber eher wie eine Abrechnung unter Piraten aus«, erklärte er. »Eine gnädige, die schnell gehen muss. Normalerweise lassen sie sich mehr einfallen, als der Mannschaft die Hälse durchzuschneiden.«
    »Es soll nur wie eine aussehen.«
    »Ich weiß.«
    Aus Barberros Kabine ertönte Gepolter. Ich schüttelte den Kopf, um die aufsteigenden Bilder zu vertreiben.
    »Die Männer nehmen Fulvio ab. Einer von ihnen ist bereits unterwegs zum Dogenpalast, um weitere Polizei und einen der Staatsanwälte zu alarmieren.«
    Einer der Wachmänner tauchte aus dem Schatten unter dem Deckaufbau hervor und wedelte mit einem Pergament. Er rief etwas herüber. Calendar sprang auf. »Er hat eine Botschaft gefunden«, sagte er überrascht.
    Der Bogen war zusammengeknüllt gewesen; sein Finder hatte versucht, ihn glatt zu streifen. Er hielt ihn uns verkehrt herum entgegen, offenbar des Lesens nicht mächtig. Calendar drehte das Pergament richtig herum. In seinem oberen Drittel war ein kantiges Loch zwischen den wenigen hastig hingekritzelten Zeilen. Ein brauner Blutfleck drückte sich durch, der auf der Rückseite des Blattes prangte. Ich brauchte nicht zu fragen, woran dieses Pergament ursprünglich festgenagelt gewesen war.
    »Irgendjemand war vor uns hier. Er hat den Zettel von Fulvios Leiche abgerissen, gelesen, vor Wut zusammengeknüllt und in die Ecke geworfen, bevor er das Schiff wieder verließ. Er hat das Tau benutzt, das außen am Schiff herunterhängt.«
    Calendar kniff die Augen zusammen und las den Text. Seine Miene wurde eisig. Er ließ die Hand sinken und starrte mich an. »Wenn ein Verbrecher öffentlich

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