Die schwarzen Wasser von San Marco
nach einem ebenso kurzen Wortwechsel mit vier Bewaffneten zu uns herunter. Es schien, dass er die Männer Calendars Befehl unterstellte; Calendar kratzte eine Signatur in ein Wachstäfelchen und presste das Siegel, das er um den Hals trug, darunter.
Nach dieser schlichten Formalität bildeten wir einen kleinen Trupp, der sich zu Barberros Kogge auf den Weg machte. Die vier Wachen waren mit Spießen bewaffnet und trugen die gelangweilten Gesichter von Kampferprobten zur Schau, die erwarten, ihr Können mit Anfängern messen zu müssen. Calendar nickte mir zu, und ich nickte zurück. Ich hoffte, dass die Zuversicht der Wachen nicht unangebracht war. Zumindest Fulvio war kein Unerfahrener, was den Einsatz von körperlicher Gewalt anging, und dass er keinerlei Skrupel besaß, wusste ich nicht erst seit Fratellinos Geschichte. Ich dachte daran, dass er, ohne zu zögern, ein hilfloses Kind ertränkt und zwei weitere Jungen zu Komplizen seiner Tat gemacht hatte. Ich spürte das Bedürfnis, ihm seine Verdorbenheit heimzuzahlen, doch noch mehr als das hoffte ich, dass er, sein Kapitän und seine Spießgesellen angesichts der Staatsmacht klein beigeben und sich ohne Widerstand verhaften lassen würden. Ich kann nicht verhehlen, dass ich Fulvio und Barberro tot sehen wollte; aber ich war nicht erpicht darauf, mich selbst auf einen Kampf mit ihnen einzulassen.
»Es war Barberro selbst, der Ventrecuoio und den anderen Gassenjungen ermordete«, sagte ich zu Calendar. »Er war auf dem Campo San Polo; Sie haben ihn ja selbst dort gesehen. Er wollte einen der Jungen aus dem Schauspielertrupp bewegen, mit ihm zu kommen. Dabei muss ihn Ventrecuoio angesprochen haben. Vermutlich wollte er ihn erpressen. Barberro führte ihn und seinen Freund in die kleine Gasse und tötete beide.«
»Um darauf zu kommen, braucht es nicht viel Nachdenken«, erklärte Calendar grob. Ich sah ihn überrascht an, und er schüttelte den Kopf und wich meinem Blick aus. »Entschuldigen Sie. Meine Laune ist miserabel. Wenn ich könnte, würde ich die Schurken mit bloßen Händen …«
»Da vorn ist Barberros Kogge. Sie kennen ja den Weg hinein.«
»Wieso hat Barberro versucht, einen der Jungen von den Schauspielern loszueisen?«, sagte Calendar, als würde er meine Gedanken von vorhin aufgreifen. »Weil einer seiner Kunden einen jungen, männlichen Sklaven brauchte?«
»Und wenn es so war, warum hat er dann den Sklaven, den er hatte, umbringen lassen?«
Barberros heruntergekommenes Schiff lag längsseits an der Uferpromenade, nur noch durch ein weiteres Schiff von uns getrennt. Ich konnte die Öltuchplane sehen, unter der ich mich versteckt gehalten hatte. Die Sonne schien aus einem tiefblauen Himmel auf die Szene herab, als gäbe es keine Schlechtigkeit in der Welt. Mir fiel auf, dass die Schiffe, die vor und hinter Barberros Kogge lagen, zu ihr einen großen Abstand hielten, als wäre ihnen die Nachbarschaft unangenehm. Vermutlich lag es lediglich an der Anordnung der steinernen Poller, an denen man die Schiffe vertäute; und vermutlich hatte Barberro seinen Liegeplatz mit Bedacht so gewählt. Calendar schritt weiter, ohne auch nur im Mindesten zu zögern.
Wir marschierten vor dem bauchigen Rumpf der Kogge auf, ohne dass uns irgendwelche Wachen auf Deck zur Kenntnis nahmen. Calendar kniff die Augen zusammen und spähte gegen die Sonne hinauf. Dann legte er die Hände an den Mund und schrie etwas Richtung Deck. Vom Schiff kam keine Antwort außer dem leichten Knarren des Holzes und der Taue. Ansonsten blieb alles still.
»Die Wachen sind weg«, sagte ich überflüssigerweise.
»Vielleicht hat Barberro seine Leute zu einem Mittagsmahl in der Stadt eingeladen«, brummte Calendar sarkastisch.
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sehen Sie mal dort hinab.«
Ich wies auf den schmalen Streifen Wasser zwischen dem gemauerten Uferrand und der Bordwand, der sich ein wenig verbreiterte, als das Schiff seine Haltetaue straffte. Ein langes Stück Holz lag darin und tanzte im tiefen Schatten des Schiffsbauchs auf und ab. »Da unten ist die Hühnerleiter«, erklärte ich.
»So etwas nennt man ein Fallreep«, sagte Calendar und grinste angespannt. »Bis jetzt haben Sie sich wacker geschlagen, aber einmal kommt die Landratte doch durch.«
»Ich werde Sie mal in meine Geschäftsbücher blicken und dann den Saldo suchen lassen«, brummte ich. »Mal sehen, wie wacker Sie sich dann schlagen.«
Zwei der Wachen legten ihre Spieße ab und knieten sich
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