Die schwarzen Wasser von San Marco
hingerichtet und der Leichnam ausgestellt wird, hängt ihm ein Dokument der Behörden an«, erklärte er tonlos. »Darauf stehen seine Verbrechen verzeichnet, und wenn es die Leistung eines einzigen Polizisten war, ihn zur Strecke zu bringen, wird dessen Name lobend erwähnt. Dieser Wisch hier versucht ein derartiges Dokument nachzuahmen – nicht gut, aber doch für einen Laien halbwegs glaubhaft.«
Er hielt mir das Pergament hin. Es wies kein Siegel auf, wie es ein offizielles Dokument der Behörden getragen hätte. Er deutete mit dem Finger der anderen Hand auf die letzte Zeile. Ich sah überrascht, dass sein Finger zitterte. Ich überflog den mit den entschlossenen Unterlängen der venezianischen Schriftzeichen verfassten Text. Ihn zu verstehen war nicht nötig. Viel wichtiger war der Name, auf den Calendars Finger zeigte und der dort stand, wo in einem offiziellen Dokument der Name des erfolgreichen Polizisten zu lesen gewesen wäre.
Ich hörte, wie Calendar die drei verbliebenen Wachen zusammenrief und ihnen auftrug, sofort das Schiff zu verlassen und unten auf uns zu warten.
Ich kannte den Namen.
Es war mein eigener.
Calendar versuchte mich zu überreden, dass ich mit ihm zum Dogenpalast gehen und abwarten sollte, bis die Miliz alarmiert sei. Er meinte, dass Barberro noch nicht wissen konnte, wo ich zu finden war. Doch ich hörte nicht auf ihn, überzeugt davon, dass der Sklavenhändler seine eigenen Quellen besaß und sie bereits genutzt hatte. Die Eile, mit der Calendar einen der Wächter aus dem Arsenal damit beauftragte, niemanden auf das Schiff zu lassen, und die anderen zurücksandte, sagte mir, dass auch er nicht an seine Worte glaubte. Ich dachte an Jana, die arglos in ihrem Bett lag und versuchte, gesund zu werden; ich stellte mir vor, wie Barberro in die Herberge platzte und durch das Treppenhaus nach oben polterte, Rache für seine Leute im Sinn. Ich ließ Calendar stehen, noch während er den Männern die letzten Anweisungen erteilte, und lief los.
Als ich schwer atmend in Manfridus’ Herberge eintraf, schien dort auf den ersten Blick nichts anders zu sein als sonst. Es war kurz vor Mittag; in der Schankstube saßen eine Hand voll Männer zusammen und warteten darauf, was ihre Bediensteten in der Küche zustande brachten. Clara Manfridus befehligte deren kleines Heer und wachte mit Argusaugen darüber, dass sie nichts aus ihrer Küche stahlen. Julia stand in einer Ecke, wandte mir den Rücken zu und war damit beschäftigt, einen Berg von Gemüse zu putzen und zu schneiden – wie es schien, ein weiteres Suppenrezept. Der Herbergsbesitzer selbst sowie Moro waren nicht zu sehen. Clara Manfridus nickte mir kurz zu und richtete ihr Augenmerk dann wieder auf die Dienstboten ihrer Gäste. Ich wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und stieg die Treppe etwas langsamer hinauf. Über welche Quellen Barberro auch immer verfügte, er schien noch nicht erfahren zu haben, wer ich war und wo er mich finden konnte. Ich gestattete mir ein paar Momente, in denen ich darüber nachdachte, wer um alles in der Welt versucht haben konnte, Barberro, der offensichtlich nicht auf dem Schiff gewesen war, als seine Leute überfallen wurden, auf mich zu hetzen. Ich öffnete die Tür zu unserer Kammer und sah, dass meine Erleichterung verfrüht gewesen war.
Manfridus und Moro standen gleich neben der Tür. Moros Gesicht war starr und finster. Auf Julias Decke kauerte jemand, der Julias Haube trug und den Kopf gesenkt hielt. Zu meiner Überraschung erkannte ich Jana. Sie blickte auf, als ich hereinplatzte, und schüttelte schnell und entsetzt den Kopf. Manfridus unterbrach eine in langsamen, beschwörenden Worten geführte Rede und drehte sich um. Er war blass.
»Ist er das?«, fragte eine raue Stimme.
Manfridus nickte resigniert und ließ die halb erhobenen Hände sinken.
»Soll reinkommen.«
Ich öffnete die Tür ganz, damit ich in die Kammer schlüpfen konnte. Jetzt fiel mein Blick auf das Bett. Zwei Menschen saßen darauf und starrten mich an. Mein Atem ging noch immer rasch von meinem Lauf hierher und von den schnellen Schritten die Treppe hinauf. Mein Herz pochte, und im Nacken tröpfelte mir der Schweiß in den Kragen. Meine Knie wurden weich, aber nicht vor Erschöpfung.
Barberro war einige Zeit vor dem Mittag in die Herberge gekommen. Er war auf Moro gestoßen, der sich in der leeren Schankstube mit dem Füttern der Küken beschäftigte, und hatte dessen Misstrauen überwunden, indem er sich als
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