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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nur, wieso sie sich so viel Mühe gegeben haben, Pegnos Gesicht unkenntlich zu machen«, knurrte Calendar, während ich bei dem Gedanken an Ursino grimmige Befriedigung über die Erinnerung verspürte, wie der muskulöse Mann auf dem Pflaster vor Raras Haus in seinem Blut gelegen hatte. »Wenn sie fürchteten, dass jemand die Leiche entdecken und erkennen würde, warum um alles in der Welt haben sie sie ins Arsenal geschmuggelt? Sie hätten den Toten lediglich beim Bischofspalast ins Wasser gleiten lassen müssen, und die Ebbe hätte ihn hinausgezogen. Das Meer hätte Pegno nie wieder hergegeben.«
    »Fragen Sie Fratellino, weshalb er und Ventrecuoio sich als Zeugen gemeldet haben.«
    Calendar blickte von dem Jungen zu mir. »Glauben Sie etwa …?«
    »Fragen Sie.«
    Es war, wie ich vermutet hatte: Ursino und seine Spießgesellen hatten sie dazu gezwungen. Der Auftrag der beiden Jungen lautete, sich so lange in der Umgebung des Arsenals herumzutreiben, bis der Leichnam wieder an die Wasseroberfläche kam und entdeckt wurde. Dann hatten sie die Geschichte aufzutischen, dass ihnen ein Junge, auf den die Beschreibung Pegnos passte, in der letzten Zeit beim Arsenal aufgefallen sei. Ursinos Freund hatte ihnen damit gedroht, dass sie das Schicksal des ertränkten Jungen teilen würden, wenn sie nicht gehorchten, und sie zusätzlich mit einem Geschenk dazu motiviert, ihre Aussage recht glaubwürdig zu gestalten. Calendars Augen weiteten sich, als Fratellino seine falsche Zeugenaussage beichtete.
    »Das ergibt doch keinen Sinn!«, erklärte Calendar ungeduldig. »Zuerst machen sie das Gesicht der Leiche unkenntlich, dann heuern sie zwei Zeugen an, die die Identität des Toten preisgeben sollen.«
    »Sie haben nicht die Identität des Toten preisgegeben«, sagte ich. »Sie haben ihm lediglich einen Namen verliehen.«

6
    Calendar brauchte keine Sekunde, um zu begreifen, wovon ich sprach. »Der Tote ist nicht Pegno gewesen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Er schnaubte wütend. »Aber Dandolo hat ihn doch identifiziert.«
    »Dandolo hätte eine tote Katze als seinen Neffen identifiziert«, erwiderte ich. »Sie haben ihn doch gesehen: Er war ein nervöses Wrack. Und wenn ich mich recht erinnere, haben Sie seine Aussage ohnehin angezweifelt.«
    »Wie lautet dann der wirkliche Name des Toten aus dem Arsenal?«
    »Ich fürchte, das wissen Sie besser als ich.«
    Calendar ließ den Arm Fratellinos, den er die ganze Zeit über festgehalten hatte, los. Er fasste sich an die Stirn. Sein Gesicht war bleich geworden.
    »Ihre Suche hat ein Ende. Der Prinz aus Sinope, jener Handelsstadt an der Küste des Schwarzen Meers, arbeitet nicht als Sklave irgendwo in Rom oder in einem Bergwerk. Er liegt in einem Familiengrab drüben auf San Michele und wird als der älteste Sohn des Hauses Dandolo beweint.«
    »Aber wo ist dann Pegno?«
    »Das ist die Frage, die ich von Anfang an hätte lösen sollen und längst beantwortet geglaubt habe. Fragen Sie den kleinen Kerl, ob er weiß, warum Ursinos Kumpane ihm und seinem Freund Ventrecuoio nach dem Leben trachteten – denn als die Mörder Ventrecuoios und des anderen Gassenjungen kommen ja wohl nur sie infrage.«
    »Es war falsch, an einen misslungenen Diebstahl zu glauben.«
    »Sie haben nie daran geglaubt.«
    Calendar zuckte mit den Schultern und wandte sich Fratellino zu. Dieser machte ein unglückliches Gesicht und sprach stockend.
    »Ventrecuoio hat sich immer viel in Venedig herumgetrieben, während Fratellino vorsichtiger war und die Gegend seines Viertels nicht oft verließ«, übersetzte Calendar. »Ventrecuoio hatte wohl einen Verdacht bezüglich eines der Männer.« Calendar seufzte. »Er forschte nach und fand seinen Verdacht bestätigt. Aber er war wohl zu unvorsichtig.«
    »Und brachte den Tod über sich und seinen zufälligen Begleiter. Der Mörder war auf dem Campo San Polo, wie Sie und ich.«
    »Und ein paar Hundert andere.«
    »Gut für Fratellino, dass er weniger neugierig war.«
    »Verdammt«, stieß Calendar in einem für ihn untypischen Temperamentsausbruch hervor. »Verdammt! Der Mörder Ventrecuoios und seines Kameraden ist auch der Mörder des jungen Prinzen. Wenn ich ihn hätte … und ich war so nahe dran vor drei Tagen auf dem Campo San Polo und wusste es nicht.« Er schloss die Augen und schüttelte kurz den Kopf. »Ich ahnte es, aber dafür gibt mir niemand auch nur einen Soldo Kredit.«
    Fratellino stellte eine schüchterne Frage. Calendar blickte ihn an, und der Junge

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