Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Vorkommnissen unterrichtet, dass das verzerrte Bild von mir, das ich ihm vorgespielt hatte, mittlerweile der Realität gewichen war und er nicht mehr die Flucht antrat, wenn er meiner ansichtig wurde. Seine ruhige Kompetenz und seine trocken-langweilige, zuvorkommende Art waren das richtige Heilmittel, um mich darüber hinwegzutrösten, dass einer meiner Landsleute ein Ungeheuer war, das vermutlich nicht einmal der Teufel in der Hölle mit der Zange anfassen würde. Als der Zunftrektor bei einem meiner Besuche seltsam aufgeregt wirkte und ich ihn fragte, was geschehen sei, erfuhr ich, dass ein kleiner Treck, der vom Fondaco aus Richtung Norden aufgebrochen war, vor Vicenza festsaß. Ein paar Mitglieder der Reisegruppe waren an der Pest erkrankt; darunter auch Heinrich Chaldenbergen.
    Es war Calendar, der die losen Enden zweier Geschichten miteinander verband. Chaldenbergens zweites Opfer stammte von einem Schiff, das vor kurzem in Venedig eingelaufen war. Das Schiff war ursprünglich dazu gemietet worden, mohammedanische Pilger nach Mekka zu bringen, doch der Kapitän entschloss sich zu einer Änderung der Reisepläne und steuerte Venedig an, um seine Fracht als Sklaven zu verkaufen. Alles in allem waren es nur Muslime, die übelsten Feinde der Christenheit, und der Kapitän, selbst ein aufrecht denkender Christ, war von seiner eigenen Idee begeistert, dem lieben Gott ein paar seiner Widersacher vom Hals zu schaffen. Einige Gefangene entkamen jedoch, indem sie sich nachts von Bord stahlen und durch den Canale di San Marco schwammen. Dem Schiff des christlichen Kapitäns war das Anlegen untersagt worden – es handelte sich um das Pestschiff, und der Kapitän starb als einer der Ersten voller Verwunderung darüber, dass ihm seine gute Tat von den himmlischen Mächten so übel vergolten wurde.
    Die Flüchtlinge indes wurden von einem weiteren kühl rechnenden Geschäftsmann verwahrt, einem in halbdunkle Vorgänge verwickelten Besitzer einer kleinen Flotte Transportboote, der Verbindung zu Chaldenbergen hatte und von seinen Vorlieben wusste. Unter den Menschen, die er in der Hoffnung versteckt hatte, aus ihnen auf die eine oder andere Weise Kapital schlagen zu können, war ein junges Mädchen, und mit ihm fuhr er seinen ersten Gewinn ein. Es war jedoch bereits, ebenso wie seine Leidensgenossen, vom Pesthauch berührt. Der Fuhrunternehmer bemerkte diesen unglücklichen kleinen Umstand erst, als er in seinem Versteck nach seiner Ware sah und einen Sterbenden vorfand, während es den anderen voller Entsetzen gelungen war, die Tür aufzubrechen und vor dem schwarzen Tod zu fliehen, der plötzlich in ihre Mitte getreten war.
    Der Fuhrunternehmer besaß so viel Gemeinsinn, die Behörden zu warnen, bevor er sich selbst niederlegte und sich seinem Gott empfahl; die Behörden strengten eine hastige Suche nach den Flüchtigen an, deren Auswirkungen wir selbst erlebt hatten. Es gelang der signoria , alle Flüchtlinge bis auf einen wiederzufinden; die Pest brach dennoch aus, an mehreren verschiedenen Plätzen in der Stadt.
    »Es ist, als habe Gott selbst auf die Kumpane von Heinrich Chaldenbergen gedeutet«, bemerkte Calendar, und es bedurfte dieses Hinweises, damit mein manchmal langsames Hirn verstand, wie es zu dieser seltsamen Form des Pestausbruchs kommen konnte. Nun, Gott oder ein freundliches Schicksal oder die straffe Organisation der Lagunenstadt verhinderten, dass die Krankheit sich weiter ausbreitete. Die Toten blieben im Wesentlichen auf die Häuser beschränkt, in denen es Kontakte zu den Erkrankten gegeben hatte, und wenn auch Chaldenbergens Mittäter ihren gerechten Lohn empfingen, so gab es doch in ihren Familien genügend Unschuldige, die durch ihre Verdorbenheit einen grässlichen, fiebernden Tod starben.
    Chaldenbergen und der größte Teil seiner Reisegesellschaft fanden ihr Ende in nachlässig errichteten Zelten vor den Mauern von Vicenza, argwöhnisch beobachtet von den Mauerzinnen der Stadt aus durch schwer bewaffnete Soldaten, die jeden aus der kleinen Zeltstadt niedergeschossen hätten, der sich in die Nähe der Stadttore gewagt hätte, bar jeder ärztlichen Betreuung, ein stöhnender, fluchender Haufen Fiebernder, der in der flimmernden Hitze der Ebene einer um den anderen verging wie Schnee unter den ersten Strahlen der Frühlingssonne. Als es vorüber war, wagten sich ein paar Stadträte dick maskiert in das Zeltlager, um die Verbrennung der Leichen zu organisieren, und entdeckten ein halbes Dutzend

Weitere Kostenlose Bücher