Die schwarzen Wasser von San Marco
die Wände des Dogenpalastes traten vor Wut. Oh, es gab ein paar Amtsniederlegungen, und ein paar Ehefrauen verließen die Stadtpaläste mit ihren Kindern, um sich auf Dauer in einem Landhaus ihrer Familie niederzulassen, sodass man annehmen konnte, dass die Staatsanwälte die übelsten Sünder wenigstens unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber informierten, dass man Bescheid wusste. Die Verantwortung für all das trug letztendlich Rara de Jadra, so wie sie es schon – sicherlich freiwilliger – auf sich genommen hatte, für die Erfüllung der finsteren Begierden ihrer Kunden zu sorgen, bevor es jemand anderer für sie tat.
Sie wurde nur wenige Minuten nach Barberros Hinrichtung zur Piazzetta geführt. Ich hatte mich bemüht, nicht dabei zu sein, aber ich hörte die Berichte der Zuschauer und fühlte zugleich Genugtuung und Mitleid: Raras auferlegte Selbstbeherrschung hatte sie verlassen, als man sie zwischen den heiligen Theodor und den Markuslöwen führte und ihr Blick auf den von einem Sackleinen verhüllten Körper Barberros fiel, der abseits auf dem Pflaster lag und die Terrakottafliesen mit seinem Blut dunkel färbte. Sie wehrte sich mit aller Kraft gegen den Tod. Ein mutiger Helfer des Scharfrichters kauerte sich schließlich neben sie und hielt sie fest, während ein zweiter eine Faust voll ihres schwarzen Haars nahm und mit aller Gewalt daran zog, damit ihr Nacken frei lag. Sie beendete ihr Leben kreischend und spuckend. Der Scharfrichter hätte für den glatten Schlag, mit dem sein Schwert ihren Kopf vom Rumpf trennte, Beifall verdient gehabt; doch die Zuschauermenge schwieg betreten und schockiert angesichts dieser Darstellung heulender Todesangst, und nicht wenige schlichen bedrückt heim, anstatt an den Belustigungen teilzunehmen, die man auf der Piazza San Marco bereitet hatte.
Enrico Dandolo blieb der Tod vor den Augen der schaulustigen Meute erspart. Eines Morgens fand man ihn leblos in seiner Zelle, und sein Zellengenosse schwor, der Kaufmann müsse im Schlaf gestorben sein. Calendar vertraute mir an, dass dem Hörensagen nach ein kleines, scharfes Messer bei Dandolos Tod eine Rolle gespielt hatte, und es blieb offen, wie er zu diesem Messer gekommen war oder wie es einem Mann gelingen konnte, sich aus Versehen im Schlaf zu erdolchen. Dandolos Familie hatte den berühmtesten Dogen in Venedigs Geschichte gestellt, Fabio Dandolo war ein wichtiger und geachteter Mann – und die Republik bewies, dass sie auch im Stillen vielleicht so etwas wie Gerechtigkeit verüben konnte.
Calendar und ich besuchten mehrfach das Klosterhospital, in dem Caterina untergebracht war. Ihre Abschürfungen, Prellungen, Quetschungen und Blutergüsse heilten langsam; ihr Geist überhaupt nicht. Es brauchte mehrere Besuche, den letzten davon in Begleitung Fiuzettas, bis sie so weit war, die Gegenwart zweier Männer in ihrer Nähe zu ertragen. Danach erfuhren wir bis auf eine erstaunliche Tatsache nichts wesentlich Neues. Sie sprach nicht darüber, was man ihr angetan hatte, und nicht darüber, wer in jener Nacht mit ihrem Peiniger Chaldenbergen zusammen gewesen war. Bei unserem letzten Besuch lag sie auf ihrem Lager und sah aus wie ein halb verhungerter Galeerensträfling, dessen Augen zwei dunkle Höhlen in die Tiefen seiner tödlich verwundeten Seele sind. Sie hatte sich die Haare scheren lassen und stand kurz davor, den Novizenschleier zu nehmen. Die Welt hatte ihr ihre grausamste Seite gezeigt, und ich konnte verstehen, dass sie vor ihr zu fliehen versuchte, indem sie sich im Kloster verbarg. Es brachte mir zu Bewusstsein, wie sehr ihr Schicksal doch mit dem Pegnos verwoben war. Als wir sie verließen, richtete sie sich halb auf und fragte, was aus dem anderen Mädchen geworden sei.
Wir hatten es nie gewusst: Chaldenbergen hatte nicht nur Caterina zu seiner und der Belustigung seiner grausamen Kumpane benutzt. Als sie mit Caterina fertig waren, schafften sie sie hinaus, und in halber Ohnmacht bekam sie mit, dass man statt ihrer ein anderes, vor Angst halb gelähmtes Opfer in den leeren Raum führte, der zu einer Folterkammer geworden war, wie ihn sich selbst der höllischste Inquisitor nicht schlimmer ausdenken konnte. Calendar begann eine Suche, die fruchtlos blieb, bis er unerwartete Hilfe erhielt: von Heinrich Chaldenbergen selbst.
Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, ab und zu das Fondaco dei Tedeschi zu besuchen und mit Burchart Falkenstein, dem Zunftrektor, zu plaudern. Er war genügend von den
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