Die schwarzen Wasser von San Marco
machtlos ist, wie uns ein Blick in die Zeitungen und die Nachrichtensendungen bestätigt. Im Venedig des fünfzehnten Jahrhunderts – und in meinem Roman – endet die verbrecherische Karriere der Bösewichte unter dem Richtschwert. Jede andere Strafe hätte in einem historisch fundierten Buch über diese Zeit nicht den gegebenen Tatsachen entsprochen. Dass diese Art der Justiz nicht die Lösung der Probleme darstellen kann und darf, wissen wir heute. Leider kann auch ich keine Lösung anbieten; aber ich nehme mir die Freiheit, wenigstens auf die Missstände hinzuweisen.
Es gibt noch weitere Gründe, warum mich Venedig als Schauplatz meines Romans fasziniert hat: Da ist zum einen der Zeitpunkt – am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts hat die Republik den Zenit ihrer Macht erreicht, und es ist sich niemand in der herrlichen Stadt, die sich aus der Lagune hebt wie ein Stein gewordenes Schiff, gewahr, dass ihr Ende nicht mehr fern ist. Bald wird ein unter spanischer Flagge segelnder Genueser aufgrund eines Rechenfehlers auf neues Land hinter dem Horizont stoßen, dessen Entdeckung die alte Weltordnung unumstößlich verändern wird; bald wird die Eröffnung des Seewegs in den Fernen Osten das Gewürzmonopol der Serenissima ins Wanken bringen; bald wird sich in der Liga von Cambrai fast ganz Europa zusammenfinden, um die vierhundert Jahre währende Herrschaft Venedigs über das Mittelmeer endgültig zu brechen. Wenn sich die Serenissima auch von all diesen Rückschlägen zeitweilig wieder erholen wird, so ist doch der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem die weltgeschichtlichen Ereignisse die Republik auf den Status einer Provinzstadt zwingen, aus dem sie sich nie mehr erheben wird.
Noch hat es Venedig nicht nötig, mithilfe von Spitzeln und Denunziationen (eine in manchen Geschichtsbüchern stark vergröbert dargestellte) Innenpolitik zu betreiben. Die Instrumente sind vorhanden – der Rat der Zehn, seit dem Aufstand von Baiamonte Tiepolo ins Leben gerufen, und sein Polizeiapparat, dessen in den kommenden Generationen erworbener Ruf als der korrupter Inquisitoren das Ansehen des Berufsstandes durch alle Jahrhunderte hindurch schwärzen wird. Venedig wird erst noch lernen, diese Instrumente zu benutzen, wie jeder Staat, der seine Daseinsberechtigung verloren hat und sich mit aller Macht ans Überleben klammert.
Zum anderen ist es das faszinierende Sozialleben der »eindrucksvollsten Stadt, die ich je gesehen habe« (Philippe de Commynes, 1494), das es für seine Ära einzigartig und in manchen Belangen unserer Zeit so ähnlich macht. Es herrschen gesunder Geschäftssinn sowie der Glaube an die Macht der Flotte und der Diplomatie, und die Kaufleute und Besucher aus aller Welt sind herzlich willkommen und frei in ihren Bewegungen in den Gassen der Stadt. Die Handelshäuser fremder Nationen, darunter der Fondaco dei Tedeschi als das größte und einflussreichste, sind prächtige Paläste und die dort arbeitenden, Handel treibenden Männer gern gesehen. Der Wille, mit dem eigenen Gewinn zur Glorifizierung der Heimatstadt beizutragen, ist stark. Wenn gewisse Triebfedern sozialer Uneigennützigkeit, wie etwa die reichen florentinischen Stiftungen zugunsten von Waisenhäusern und Hospitälern, in Venedig nicht so deutlich ausgeprägt sind, so ist es nicht an uns, darüber zu richten. Die Politik der Lagunenstadt und damit die Denkweise der bestimmenden Kreise ist mehr auf Effizienz denn auf Barmherzigkeit ausgerichtet, und wir sollten eher die extrem aufwändigen Bemühungen anerkennen, mit unbeeinflussbaren Wahlmechanismen eine unbestechliche Regierung aufzustellen und durch alle Krisen hindurch eine dem Gemeinwohl verpflichtete Republik am Leben zu erhalten, die sich auch in den finstersten Zeiten dem Zugriff tyrannischer Könige, Kaiser und Päpste widersetzt hat.
Es gibt die übliche Angst einer Handelsstadt vor Seuchen, die Besucher hinter die Mauern tragen könnten, aber sie ist nicht stark genug, um die Tore eifersüchtig zu hüten, und abgesehen davon würde die Stadt, verschlösse sie sich der Welt, lediglich einen anderen Tod sterben als den an der Pest. Pestausbrüche wie der von 1478 werden daher hingenommen, bekämpft, besiegt und ohne besonderes Aufhebens in den Annalen verzeichnet.
Eines der Pestopfer von 1478 war der deutsche Kaufmann Heinrich von den Chaldenbergen , der durch seinen Briefverkehr anlässlich seines letzten Willens der Nachwelt bekannt geworden ist. Ich habe seinen Namen ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher