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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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vorgekommen, als zerstörte ich eine zweite Schwangerschaft Janas, sollte ich den Versuch unternehmen, Fiuzettas Entschluss zu ändern. Wenn ich recht darüber nachdachte, wollte ich es selbst nicht. Ich war eigentlich zu alt dafür, noch einmal in der Nacht vom Geschrei eines Kindes zu erwachen und mich tagaus, tagein zu sorgen, ob das Fieber, die kleine Schürfwunde, der Insektenstich, der üble Sonnenbrand oder der verstimmte Magen dazu führen würden, dass ein helles Kinderlachen für immer verstummte und ein weiterer kleiner Sarg hinter der Holunderhecke auf meinem Grund in die Erde gesenkt würde. Ich wusste es und stellte dennoch fest, dass die Freude auf den Anblick, wie ein rundliches Geschöpf auf unsicheren Beinen in meine Arme wankte, vor Stolz glühend, dass es die ersten Schritte allein zurückgelegt hatte, alle Angst vor der Zukunft überwog. Fiuzetta würde dieser Anblick versagt bleiben, zumindest jetzt. Vielleicht würde irgendwann einmal ein zweites Kind diesem ersten folgen, das sie nicht gewollt hatte und das sie niemals vergessen würde.
    Ab und zu dachte ich an Pegno und Andrea Dandolo und dass Pegno nicht hätte sterben müssen, wenn ich nur schneller nachgedacht hätte, und dann konnte es geschehen, dass die blühenden, in der Sonne flirrenden Felder und der endlose Himmel darüber plötzlich unscharf wurden und ich mir die Augen wischen musste, weil offenbar Sand hineingeraten war. Ich war nicht schuld an Pegnos Tod, aber derjenige, der eigentlich die Schuld trug, sein Vater, würde die Nachricht von seinem Tod mit einem halbherzigen Fluch aufnehmen und sich sofort mit den Brüdern auf San Giorgio Maggiore in Verbindung setzen, um Andrea freizukaufen und ihn sein Geschäft zu lehren. Vielleicht hatte ich das Gefühl, dass wenigstens ein Erwachsener um den Jungen weinen sollte.
    Wenn mich all dies zu sehr belastete, lenkte ich meine Gedanken in die jüngste Vergangenheit – in der eitlen Hoffnung, den Eindruck loszuwerden, wie vergeblich doch meine Bemühungen in Venedig gewesen waren.
    Enrico Dandolo hatte bald nach seiner Ankunft auf Burano erkannt, dass jemand das Haus kurz vor ihm benutzt hatte – Essensreste, um die sich nun Ameisen in hellen Scharen versammelt hatten, Spuren in der Staubschicht auf dem Boden und ein Lager in einem der Gesinderäume, das wir übersehen hatten. Pegnos Meinung von sich selbst war so gering, dass er freiwillig in einer der feuchten kleinen Kammern schlief, selbst wenn seine Familie nicht zugegen war. Enrico suchte vorsichtig das Grundstück ab; zuerst dachte er an Gesetzlose oder entsprungene Sträflinge oder desertierte Söldner, aber er fand niemanden. Er hatte lange gebraucht mit seinem kleinen Boot und war nur kurz vor uns angekommen, und als er schließlich auf den Gedanken kam, sich durch das Gebüsch zu zwängen und in der kleinen Bucht nachzusehen, waren wir bereits in den ersten Kanal Buranos vorgedrungen. Als Erstes sah er den gesunkenen sàndolo knietief unter Wasser liegen. Eines der Ruder hatte sich aus dem Boot gelöst und schwamm, mit dem Ruderblatt in verfilztem Gras verfangen, auf der Wasseroberfläche. Dandolo kauerte sich nieder und versuchte es herauszuholen. Das Ufer war schlüpfrig. Schließlich stand er auf und wand sich aus seinem Mantel, damit dieser nicht unnötig beschmutzt wurde.
    Dann sah er den matten Fleck im Flirren des Wassers.
    Er hatte sein ganzes Leben in der Lagune verbracht, umgeben von Wasser. Er erkannte es, wenn er einen Körper im Wasser treiben sah. Er wusste, dass er dort den Bewohner des Gesinderaums vor sich hatte; und er ahnte, wer es war. Er watete bis zur Hüfte ins Wasser und versuchte mit zusammengebissenen Zähnen und dem Ruder, den Körper zu sich heranzutreiben, bis plötzlich Paolo Calendar durch das Gebüsch geflogen kam.
    Andrea hatte in der Sorge um seinen Bruder und in seiner Strategie, das schrecklich schiefe Bild ihrer Lebensplanung wieder in Ordnung zu bringen, das Falscheste getan, was Pegno hatte passieren können. Er hatte ihn allein mit sich und seinen Gedanken gelassen, die alle nur um eines kreisten. Er wusste nicht, dass Andrea ihn vor den Plänen seines Onkels gerettet hatte; er erfasste nicht, dass sich ihm plötzlich die Chance bot, seinem verhassten Leben zu entkommen und das tun zu können, was er sich sehnlichst wünschte: in Kontemplation hinter Klostermauern sein Leben zu verträumen. Pegnos Gedanken waren ausschließlich von der Verachtung seines Vaters für ihn beherrscht;

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