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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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die Verachtung war so groß geworden, dass sie ihn wie eine erstickende schwarze Wolke umgab. Er hasste sein Leben. Wahrscheinlich hatte er stundenlang am Ufer in der kleinen Bucht gestanden und darüber nachgedacht, dass es nur weniger Schritte bedurfte, um auf seine Weise aus diesem Leben zu entkommen.
    Dann hatte er den ersten Schritt getan.
    Enrico Dandolo, den man wegen der hohen Stellung seiner Familie von der peinlichen Befragung ausgenommen hatte, legte seinen Anteil der Geschichte dennoch schonungslos offen. Man rührte ihn nicht an, aber – zufällig oder nicht – fanden seine Verhöre stets in einem Nebenraum der Kammer statt, in dem Barberro seine Sünden schon zu Lebzeiten abbüßte. Die Geräusche von Barberros Befragung waren in Dandolos Verhörraum einwandfrei zu vernehmen. Dandolos Geständnis füllte die Lücken, die Barberro gelassen hatte. Selbstverständlich hatte er die anonyme Mitteilung an Leonardo Falier geschrieben; er hatte sie an jenem Tag abgegeben, als ich auf der Piazzetta auf ihn gestoßen war. Nachdem Faliers Männer ihre Arbeit getan hatten, schlich er sich auf Barberros Schiff und erkannte mit Entsetzen, dass Barberro selbst nicht unter den Toten war. Er wusste, dass der Verdacht des Sklavenhändlers auf ihn fallen würde, und er beschloss, den Zorn Barberros abzulenken. Schließlich offenbarte er noch, dass die Männer, die mich im Elendsviertel zu ermorden versucht hatten, von ihm gedungen gewesen waren, und der Versuch, die Schuld am Tod von Barberros Männern auf mich zu lenken, war lediglich ein zweiter Anlauf, mich zu beseitigen. Der Kaufmann hatte befürchtet, dass meine Hartnäckigkeit bei der Aufklärung des Todes der Gassenkinder die trüben Wasser aufwühlen würde, in denen er und Barberro fischten. Was aus den beiden Meuchelmördern geworden war, erfuhr ich nie; dass vielleicht einer von ihnen durch mein Zutun zu Tode gekommen war, warf einen nicht allzu schweren Schatten auf mein Gewissen.
    Bei Barberro hätte es der Folter genauso wenig bedurft; auch er redete ohne Zögern, sobald die Staatsanwälte den Verhörraum betraten. Dass man ihn dem dritten Grad dennoch unterzog, hatte mit seinen Verbindungen zu den Piraten zu tun, die man noch genauer zu durchdringen hoffte. Dem Sklavenhändler blieb die Genugtuung versagt, seinen Partner wenigstens neben sich schreien zu hören, als man ihm die Arme auf den Rücken band, an der Kette befestigte und diese dann langsam hochzog, bis seine Füße den Boden verließen und der schwere Stein ihn festhielt und der Scharfrichter die Kurbel weiter betätigte, bis die Armgelenke aus den Schultern schnappten und Barberro das erste von vielen Malen wie ein Wolf zu heulen begann und seine Mutter für das Ende der Pein verkauft hätte, wenn diese noch am Leben gewesen wäre.
    Ich habe noch niemals in der zivilisierten Welt davon gehört, dass eine Frau bei einem Verhör einem scharfen Grad der peinlichen Befragung unterzogen worden wäre; solche Dinge geschehen nur innerhalb der Kirche, wenn ein paranoider Fanatiker in einem alten Kräuterweiblein eine Hexe zu erkennen glaubt oder wenn ein Inquisitor einen freidenkenden Geist zum Ketzer erklärt. Demnach war Calendars Aussage, er würde Rara der Folter unterziehen lassen, eine leere Drohung gewesen. Die venezianische Justiz benahm sich in diesen Dingen noch zivilisierter als alle anderen. Es war auch nicht nötig; ihre »Schützlinge« wandten sich gegen sie und lieferten alle noch nötigen Beweise, um sie zu überführen. Der Prozess gegen sie sorgte überall in Venedig für Aufruhr, und erstaunte Frauen wohlhabender Kaufleute oder Politiker sahen sich plötzlich der tränenreichen Aussage einer jungen Köchin oder Dienstmagd gegenüber, die zitternd davon berichtete, zu welchen Dingen sie von Rara und ihren Kunden gezwungen worden war, bevor sie das Waisenhaus verlassen hatte. Es gab genügend ehrenhafte Männer, diese Geständnisse, von ihren Ehefrauen abends entsetzt berichtet, bei Gericht vorzubringen; die Zeugenaussage einer Frau hätte nichts gegolten und noch viel weniger die Aussage eines Dienstboten. Die Männer – und mit ihnen die Staatsanwälte – waren klug genug, die stadtbekannten Namen, die im Lauf dieser schluchzend vorgebrachten Geständnisse gefallen waren, zu verschweigen. Gerechtigkeit ist eine Sache, Politik eine andere, und Paolo Calendar und ich versicherten uns diese Tatsache ein ums andere Mal gegenseitig, während wir gleichzeitig mit den Füßen gegen

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