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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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denn je, und lächelte mich an. Ich ließ mich auf das Bett sinken und versuchte, nicht in den Wogen nackter Angst zu ertrinken, die über mich hinwegspülten.
    »Wie lange weißt du es schon?«, fragte ich schließlich, und selbst in meinen Ohren hörte es sich an, als hätte ich gesagt: Warum hast du mich betrogen?
    »Die alte Frau, die Clara mir geschickt hat, ist eine Hebamme.«
    »So hast du es Clara eher gesagt als mir …«
    »Nein, ich glaube, Clara hat mich angesehen und es gewusst. Mir selbst war es gar nicht klar. Ich habe die Monatskrankheit schon zweimal nicht bekommen, aber du weißt ja, wie unregelmäßig das bei mir immer der Fall ist, und ich dachte, der Aufenthalt im Gefängnis und alles das seien daran schuld. Ich dachte gar nicht darüber nach, noch nicht mal, als ich die Bauchschmerzen bekam. Aber Clara hat den Arzt weggesandt und nach der Hebamme geschickt, und deshalb muss sie es mir wohl an der Nasenspitze angesehen haben … und nachdem die alte Frau weg war, konnte sie ihren Verdacht nicht länger verheimlichen. Sie war verärgert über mich, als ich ihr erklärte, ich müsste noch über einen Weg nachdenken, wie ich es dir sagen wollte, und sie müsse bis dahin schweigen …«
    Die Worte sprudelten aus ihr heraus, als würden sie sich in ihrem Geist überschlagen. Ihre Wangen glühten. Ich fühlte, wie die Panik über mir zusammenbrach und ich in diesen schwarzen Wellen unterging. Darunter fand ich die mir selbst nie eingestandene Gewissheit, dass eine neue Geburt einen neuen Tod bedeuten würde. Ich versank noch tiefer und glaubte schier zu ersticken.
    »Oh, wie habe ich seit gestern mit mir gekämpft. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Heute Mittag hätte ich beinahe … aber dann sagtest du, wie sehr du dich immer um mich sorgst, und ich wurde ärgerlich und ängstlich zugleich und brachte es nicht übers Herz.«
    Ich wollte mich dieser Angst nicht aussetzen. Ich wollte nicht monatelang mit der würgenden Gewissheit leben, dass ich am Ende wieder vor zwei Leichen stehen würde und dabei die ganze Zeit den pathetischen Hoffnungsfunken nähren müssen, dass jene Gewissheit von nichts anderem begründet wäre als von meiner pessimistischen Überzeugung, das Leben halte immer wieder Rückschläge für mich bereit und man bezahle für jede Sekunde des Glücks mit einer Stunde Trauer – und dass es vielleicht, unter Umständen, wenn Gott der Herr, von dem ich mich abgewandt hatte, doch geneigt war, Gnade walten zu lassen, dass es vielleicht … gut ausging?
    »Aber ich verstehe das nicht. Ich habe doch vorher … wir haben doch stets rechtzeitig …«
    »Peter, auch die Bauern üben den coitus interruptus und werden doch immer wieder schwanger. Es ist eben so. Das Leben setzt sich früher oder später durch.«
    Das Leben, wollte ich rufen, das Leben! Es ist eine Abfolge von Schicksalsschlägen, und was wir Glück nennen, ist lediglich ein zufälliger Sonnenstrahl zwischen den Wolken. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass ich dich verlieren könnte!
    – Wie konntest du das zulassen?
    Ich sah Janas Gesicht und erkannte, dass ich zumindest das Letzte doch laut gesagt hatte.
    »Um ein Kind zu zeugen, braucht es immer zwei«, sagte sie verletzt.
    Ich hielt es nicht mehr auf dem Bett aus. Ich sprang auf und begann in der Kammer auf und ab zu gehen. Jana fasste nach meiner Hand, aber ich entriss sie ihr und trat ans Fenster. Die Dächer der Stadt waren mit einem roten Hauch überzogen, und der Kirchturm von Santi Apostoli erglühte im Abendlicht.
    »Ich ahnte schon, dass es nicht leicht würde«, seufzte Jana. »Dabei sollten wir uns freuen. Es gibt andere, deren Situation viel dramatischer ist. Denk an Fiuzetta, die jetzt der Hebamme helfen muss …«
    Ich fuhr herum. »Bewunderst du die kleine Schlampe auch noch? Die es als Kurtisane eigentlich besser wissen müsste und sich im Bett noch dämlicher anstellt als wir?«
    »Hör auf. Ich will nicht, dass du so gemein wirst!«
    »Ich war heute bei einer Frau, die Sklavenmärkte in der Stadt besucht, um junge Mädchen freizukaufen. Sie lebt dabei von den Brotkrumen, die ihr die Reichen hinschmeißen, damit die Mädchen ein vernünftiges Leben führen können. Weißt du was? Deine tapfere Fiuzetta hat auch mal dazugehört; und alles, was sie mit dieser zweiten Chance angefangen hat, war, sich hinzulegen und für Geld die Beine breit zu machen! Das hätte sie als Sklavin eines geilen alten Gockels genauso haben

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