Die schwarzen Wasser von San Marco
können!«
Meine Worte klangen auch in meinen Ohren falsch, aber ich war bereits zu sehr in Rage geraten, zu tief schon war ich in der schwarzen See versunken. Auf ihrem Grund fand ich eine unbeherrschbare, blindwütige Panik, und ich spürte das, was mir in solchen Fällen stets geschieht: Ich verwandelte mich in einen Rasenden, der zornig schrie, um nicht vor Angst zu wimmern.
»Du brauchst nicht über sie herzufallen, wenn du ärgerlich auf mich bist«, erklärte Jana ruhig.
»Ärgerlich?«, brüllte ich. »Was heißt hier ärgerlich? Ich habe wegen zweier toter Kinder die Freundschaft zu Bischof Peter von Schaumberg zerstört! Ich habe wegen eines weiteren toten Kindes meine Familie auseinander brechen lassen! Mein Sohn Daniel liebt jeden verdammten Backstein an seiner Kirche mehr als mich, meine Tochter Sabina schreibt in einem Monat mehr Briefe an ihre Geschwister als in einem Jahr an mich, und wenn ich meiner Tochter Maria gegenübertrete, wird sie mich hassen. Hast du eine Ahnung, wie nötig ich es habe, mir nochmals über ein Kind Gedanken zu machen?«
»Vielleicht habe ich es nötig, mir über ein Kind Gedanken zu machen.«
»Ja? Aber vielleicht gestehst du mir zu, dass ich da auch ein Wörtchen mitzureden habe?«
»Ich habe dich doch nicht hintergangen. Denkst du denn, ich hätte das geplant? Ich wusste nicht einmal, wie sehr ich mir ein Kind wünsche, bis mir die Hebamme eröffnete, dass ich eines in mir trage.«
»Zum Teufel, aber ich wünsche es mir nicht!«
»Nein«, schrie sie plötzlich, »du wünschst es dir nicht. Du rennst lieber in Venedig herum und versuchst das Schicksal zweier Gassenjungen aufzuklären, deren einziger Liebesbeweis dir gegenüber der Versuch war, dich zu bestehlen! Kurwa mac! «
Janas Augen blitzten, und ihre Wangen waren noch roter als zuvor. Ich hatte sie kaum jemals auf Polnisch fluchen hören; und niemals so böse. Nicht einmal in Florenz, wo es um ihr Leben gegangen war. Ich wusste, was ich jetzt zu tun hatte. Ich musste ihre zu Fäusten geballten Hände packen und sagen: Jana, es ist doch nur, weil ich so schreckliche Angst habe, dass dir etwas passieren könnte. Und weil ich dich mehr liebe als alles andere.
Ich zeigte mit ausgestrecktem Finger auf sie und rief: »Die Kerle da draußen sind ganz allein auf der Welt. Niemand hilft ihnen, niemand setzt sich für sie ein. Und dabei halten sie noch ihren eigenen Ehrenkodex aufrecht!«
»Während ich nicht allein bin«, sagte Jana tonlos. »Denn ich habe ja dich und meine Vettern in Krakau, die mir mein Geschäft wegnehmen wollen. Und ich habe auch keinen Ehrenkodex, weil ich es gewagt habe, von Herrn Peter Bernward schwanger zu werden, den es, wie ich mich erinnern kann, nicht gereut hat, mit mir unter die Decke zu schlüpfen und das Kind zu zeugen.«
»Du hast doch genauso gestöhnt wie ich!«, tobte ich. »Hab ich dir vielleicht Gewalt angetan?«
»Damals nicht. Heute schon.« Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Plötzlich fand ich meine Besinnung wieder und die Kraft, mich bei ihr zu entschuldigen. Meine Wut verpuffte so schlagartig, wie sie entstanden war, und ließ mich mit meinen zwiespältigen Gefühlen zurück: Wie sehr ich sie doch liebte, und wie sehr ich Angst davor hatte, sie zu verlieren. Aber es war zu spät. Sie stand auf und legte sich ohne sich zu entkleiden auf das Bett, rollte sich zusammen und zog sich das Kissen über den Kopf. Ich hatte sie noch nie so gesehen. Ich hatte mich noch nie so gesehen. Ich hatte etwas Wunderbares zum Geschenk erhalten und es aus Mutwillen zwischen meinen Händen zerdrückt, und jetzt sah ich in das tödlich verletzte Gesicht des Menschen, der es mir geschenkt hatte. Ich wusste, wie Judas sich gefühlt hatte, als er zu jenem einsamen Baum geflohen war. Mein Magen revoltierte, und ich stolperte hinaus, um von ihr, um von dem heranreifenden Kind in ihrem Leib, vor allem aber um von mir selbst und allem, was ich gesagt hatte, wegzukommen.
Am liebsten hätte ich mich in einem tiefen Wald versteckt oder auf der Spitze eines hohen Berges. Doch ich war in Venedig. Die Gassen wimmelten von Leben, die Luft war kühl genug, um nach der Tageshitze eine Erleichterung zu sein und dennoch so warm, dass es draußen angenehmer war als innerhalb jedes Gebäudes. Der salzige, fischige Moosgeruch, der aus den rii aufstieg, passte zur Abendstunde und war plötzlich nicht mehr unangenehm, sondern ein willkommener Hinweis auf die Nähe des Meeres. Es sah nicht danach aus, als
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