Die schwarzen Wasser von San Marco
hinein, die neben einer kleinen Kirche direkt in das Herz des Gasssengewirrs westlich des Arsenals führte.
Das verschaffte mir ein paar Schritte Vorsprung. Ich drehte mich mit fliegendem Atem um, ohne langsamer zu werden. Fulvio schien verblüfft stehen geblieben zu sein und nach mir Ausschau zu halten. Dann sah ich seine hagere Gestalt am Eingang der Gasse auftauchen, schwarz gegen den feuerflackernden Himmel. Er zögerte keine Sekunde, hineinzulaufen, obwohl er mich nicht gesehen haben konnte. Meine Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich es wagte, wieder schneller zu laufen. Wenn ich stürzte, war ich verloren; aber so und so war es nur eine Frage der Zeit, bis Fulvio mich einholte. Er war deutlich jünger und besser in Form als ich.
Bei der Kreuzung japste ich bereits heftig nach Luft, und der Leutnant hatte weiter aufgeholt. Ich zweifelte nicht daran, dass seine Männer nicht mehr weit vom Eingang der Gasse entfernt waren. Ich warf mich nach links herum und hatte eine Schrecksekunde, als die calle scheinbar an einer Mauer endete; aber die Gasse führte im scharfen Knick nach rechts weiter. Weit voraus sah ich die Lichtpunkte von Fackeln; dort schien ein campo zu liegen. Nicht, dass es mir etwas genützt hätte. Ich erwartete nicht, hier in den Gassen eine Menschenseele anzutreffen. Alles, was Beine und Augen hatte, sah sich das Feuerwerk an. Ich rannte trotzdem weiter. Fulvio kam nur wenige Dutzend Schritte hinter mir um die Ecke. Bis ich vorn auf dem campo war, würde er mich beinahe eingeholt haben. Der Gedanke schoss mir durch den Kopf, mich ihm jetzt zu stellen, solange ich noch über genügend Kraft verfügte. Eine besonders aufwändige Kreation aus Explosionen schüttete zuckendes buntes Licht bis auf den Grund der unbeleuchteten Gasse und zeigte die Öffnung einer schmalen calle , die nach rechts führte. Rechts lag der rio , über den die Brücke führte, die ich überquert hatte. Moros Worte fielen mir mit einem Mal wieder ein: So manche calle endete vor einer Mauer oder am Wasser.
Ich schlug einen neuerlichen Haken nach rechts in die stockdunkle Seitengasse hinein. Sie war leicht gekrümmt, aber ich brauchte nicht lange zu laufen, um das Wasser des kleinen Kanals schimmern zu sehen wie flüssiges Gold. Ich rannte bis zur Kante und blieb stehen. Fulvio war mir näher, als ich dachte. Er sprintete auf mich zu und stieß einen keuchenden Triumphschrei aus; im Laufen zog er sein Messer aus dem Gürtel.
Hätte er sein Messer geworfen oder einen Spieß zur Hand gehabt, wäre ich verloren gewesen. Aber so musste er an mich herankommen. Seine Beine pumpten, und seine Arme reckten sich bereits nach mir. Ich kauerte mich auf dem Boden zusammen, und er konnte nicht mehr bremsen. Ich spürte seinen Aufprall und sprang so schnell ich konnte in die Höhe.
Der Zusammenstoß trieb mir die Luft aus den Lungen. Ein hartes Knie traf mich in die Rippen. Dann aber trugen sein Schwung und die Hebelwirkung meines plötzlichen Aufspringens Fulvio über mich hinweg. Ich hörte ihn überrascht keuchen und das Klatschen, mit dem er im Wasser landete. Ich taumelte ihm hinterher, vom Schwung mitgetragen, konnte mich aber noch rechtzeitig abfangen. Fulvios Messer kam auf dem Pflaster schlitternd zum Halten, ein gemeines Ding mit einer gesägten Klinge und einem Griff, der aussah, als wäre er aus einem Teil eines menschlichen Knochens gefertigt. Das Wasser des rio brodelte, dann tauchte Fulvio prustend und mit den Armen um sich schlagend wieder auf. Ich wartete nicht ab, ob er schwimmen konnte; ich kickte das Messer ins Wasser, warf mich herum und flüchtete zurück zur Hauptgasse.
Fulvios Männer schienen an der Kreuzung falsch abgebogen zu sein. Ich sah sie nicht, aber als die Explosionen am Himmel für einen Moment aussetzten, konnte ich ihr Geschrei hören. Ich setzte meine Flucht Richtung campo fort, den ich kurz zuvor gesehen hatte. Vielleicht konnte ich sie in den Gassen abhängen, oder es gelang mir, mich bis zur Piazzetta durchzuschlagen. Auch wenn ich nicht erwartete, dass mir jemand zu Hilfe eilen würde, so hoffte ich doch, sie würden den Mut verlieren angesichts so vieler Zeugen. Meine Rippen stachen an der Stelle, an der mich Fulvios Knie getroffen hatte, und auch mein Rücken schien einen Schlag abbekommen zu haben, den ich zuerst nicht gespürt hatte. Schnaufend rannte ich auf den campo hinaus.
Im ersten Moment dachte ich mich getäuscht zu haben: Sie waren bereits auf dem campo .
Weitere Kostenlose Bücher