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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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eingezogen. Die Wachen wagten nicht, das Wort an ihren Herrn zu richten. Wenn sie ahnten, dass der Besuch Calendars keine freundschaftliche Visite gewesen war, hielten sie sich mit diesbezüglichen Kommentaren zurück, und Barberro hatte augenscheinlich keine Lust, sie aufzuklären. Wahrscheinlich vertrat er die Meinung, dass es nicht schadete, wenn die Schiffsbesatzung ihn für einen gemeingefährlichen Rasenden hielt, dessen Wut sich jederzeit Bahn brechen konnte.
    Was die Überraschungen betraf, waren sie für Barberro für diesen Abend noch nicht zu Ende. Ich hörte ihn auf Deck herumrumoren und seinen Ärger an seinen Leuten auslassen und dachte darüber nach, wann ich mein unbequemes Versteck endlich würde verlassen können, als ich eine befehlsgewohnte Stimme seinen Namen rufen hörte. Erstaunt hob ich die Plane wieder an, die ich seit Barberros Anfall nicht mehr bewegt hatte. Drei Männer standen vor dem Schiff und sahen hinauf. Sie waren schlicht und teuer gekleidet; dass sie ebenso wenig wie Calendar Fackeln bei sich trugen, schien darauf hinzudeuten, dass ihre Absichten so lichtscheu waren wie die des Polizisten.
    Auf Deck entstand eine kleine Pause. Ich stellte mir vor, wie Barberro beim Klang seines Namens erstarrte und seine Augen sich in einem neuerlichen Wutanfall weiteten. Die drei Männer erweckten jedoch in keiner Weise den Eindruck, als fürchteten sie Barberros Zorn.
    »Che cosa c’è!?« , brüllte der Sklavenhändler aus Leibeskräften.
    Die Männer bedeuteten ihm, er möge herunterkommen. Barberro erwiderte nichts; zwischenzeitlich schien er seine neuen Besucher genauer in Augenschein genommen zu haben. Ich lüpfte die Plane noch ein wenig weiter und war dankbar für den Hauch frischer Luft, der dabei hereinwirbelte. Mein Rücken schmerzte von der verkrampften Seitenlage, die Pflastersteine drückten in meine Lenden und meine Schulter, und der Schweiß tropfte mir aus den Haaren. Es stank nicht nur unter der Plane, es war auch heiß, und die Notwendigkeit, den Hustenreiz unterdrücken zu müssen, tat ein Übriges. Ich erinnerte mich, dass ich mich selbst in den Diensten von Bischof Peter niemals in einer derart kindischen Situation befunden hatte.
    Barberros Haltung wirkte unterwürfig, als er vor den Männern auf dem Kai stand. Ihre Stimmen waren zu leise, um sie zu hören. Außerdem hätte ich sie wahrscheinlich sowieso nicht verstanden. Ich erkannte lediglich einen Namen und auch den nur, weil Barberro laut wurde: Ser Genovese. Barberros Krakeelen fehlte jedoch die Wut, vielmehr schien er sich zu entschuldigen. Sie ließen ihn ein paar hastige Sätze lang gewähren, dann holte einer der Männer aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    Calendars Faustschlag war sicherlich schmerzhaft gewesen, aber niemand aus Barberros Besatzung hatte ihn mitbekommen. Der Polizist hatte den Sklavenhändler eingeschüchtert, doch nicht gedemütigt. Die Ohrfeige indes traf Barberro mitten ins Herz. Zumindest die beiden Wachen hatten den Schlag mitbekommen, und ihnen war auch nicht entgangen, dass Barberro sich diese Behandlung gefallen ließ, ohne auch nur aufzufahren. Es war klar, dass die Demütigung mit voller Absicht geschah. Nach einem langen Augenblick entschuldigte sich Barberro erneut.
    Vielleicht war er ihnen Geld schuldig; vielleicht hatten sie ihn wegen eines Verbrechens in der Hand; vielleicht waren sie Geschäftspartner. Sie verließen Barberro ohne ein weiteres Wort. Barberro hatte sicherlich verstanden. Dass nun etwas von ihm erwartet wurde, war offensichtlich, wenn es mir auch unmöglich war festzustellen, um was es dabei ging. Barberro trottete still den Laufsteg wieder hinauf. Ich hörte seine schweren Schritte, wie sie an Deck herumpolterten. Eine Tür schlug zu. Die Wachen an Deck waren ebenfalls still, wenn man von den scharrenden und kratzenden Geräuschen absah, mit denen der Laufsteg zum dritten Mal eingeholt wurde.
    Ich wartete sicherheitshalber nochmals ein paar Minuten ab. Schließlich wurde mir die Luft unter der Plane unerträglich, und ich kroch vorsichtig darunter hervor. Der Schatten des Schiffsrumpfs fiel auf den Kai und machte die Nacht in seinem Umkreis noch dunkler. Vor dem noch immer leicht erhellten Nachthimmel hoben sich der Mast, die Takelung und die Reling der Kogge ab; ich sah keine Köpfe über ihren Rand spähen. Ich kroch auf allen vieren in den Schatten des Schiffs und richtete mich vorsichtig auf. Ich war bis zur Mitte des Rumpfes geschlichen, als ich

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