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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ich bisher wusste, konnten der Sklavenhändler und der Polizist auch zusammenarbeiten. Ich hatte meine Entscheidung einmal mehr aufgrund eines Gefühls getroffen, und einmal mehr war ich mir sicher, begründete Zweifel an der Richtigkeit meines Gefühls haben zu dürfen. Ich lernte es nie; ich würde noch als schlohweißer Greis auf eine plötzliche Eingebung hören anstatt auf das Ergebnis eines rationalen Gedankengangs, und die Chancen standen gut, dass ich hier in dieser Gefängniszelle auf mein Alter würde warten müssen. Vielleicht wäre ich Fulvio und seinen Männern entkommen, wenn ich mich in die Gassen geschlagen hätte; offenbar stammten auch sie nicht samt und sonders aus Venedig, sonst hätten sie mich nicht kurzfristig aus den Augen verloren. Vielleicht hätte ich mich aus der Situation herausreden können – oder herauszahlen. Was hatte Fulvio schon gesehen, außer dass ich an der Kogge Barberros vorbeimarschiert war? Und was bewies das schon?
    Allerdings, was brauchte ein Mann, der die unglücklichen Gefangenen der Piraten »Kroppzeug« nannte, weil er für sie keine Absatzmöglichkeit sah, für Beweise, wenn ihn die Faust oder der Dolch juckten? Das entfernte Schluchzen aus der anderen Gefängniszelle hatte ebenso aufgehört wie das Schreien, und ich haderte mit mir und meinen brillanten Einfällen und war ganz allein auf der Welt.
    Die Tür zu meiner Gefängniszelle öffnete sich. Obwohl ich in das Licht seiner Fackel blinzeln musste und den Mann nur als Schattengestalt wahrnehmen konnte, wusste ich, dass er es war. Paolo Calendar blieb auf der Schwelle stehen und hielt die Fackel in die Zelle hinein. Seine Haltung war die eines Mannes, dem man erzählt hat, in einem bestimmten Zimmer eines Hauses befände sich eine vierköpfige Ziege, und er überprüft die Aussage und findet sie zu seiner Überraschung bestätigt, und nun gibt er sich alle Mühe, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen.
    Schließlich trat er ein und schlug die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie sie von draußen verriegelt wurde. Mit einem scharfen Knall flog eine kleine Klappe in Augenhöhe auf, die ich bisher nicht gesehen hatte. Irgendwie musste man den Insassen der Zelle ihre Mahlzeiten hereinreichen, und irgendwie musste man als Kerkerwache aufpassen, wenn ein Polizist zu einem Verhafteten in die Zelle trat. Calendar leuchtete dem schlafenden Betrunkenen ins Gesicht, tat ihn mit einem Achselzucken als nebensächlich ab und kam zu mir herüber. Ich blieb auf dem Boden sitzen. Wenn er sein Erstaunen nicht sehen ließ, mich tatsächlich hier anzutreffen, dann konnte ich auch meine Erleichterung verbergen, dass er gekommen war.
    Calendar ging vor mir in die Hocke und zwängte den angespitzten Fuß seiner Fackel in eine Bodenritze, bis die Fackel von allein stand. Der Betrunkene stöhnte und rülpste im Schlaf, dann warf er sich auf der harten Pritsche herum und wandte sein Gesicht vom Lichtschein ab. Die Bewegung befreite irgendetwas in seinem Inneren, und er ließ einen lang ausrollenden Furz hören. Ich versuchte vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken. Calendars Mundwinkel zuckten kaum sichtbar.
    »Wenn man Sie erst abgeurteilt hat, erhalten Sie eine Einzelzelle«, sagte er. »Dies ist nur der Trakt für die gerade Festgenommenen und diejenigen, die auf ihren Prozess warten.«
    »Wollen Sie hören, warum ich verhaftet wurde?«
    »Ich will lieber hören, warum ich mitten in der Nacht aus meinem Bett gerissen worden bin.«
    »In Augsburg habe ich für Bischof Peter von Schaumberg gearbeitet. Der Bischof war zugleich päpstlicher Legat. Neben den Bürgerfamilien Fugger, Welser und Hochstetter stellte er die adlige Handelsmacht der Stadt dar. Seine Interessen galten neben den kirchlichen Belangen auch dem wirtschaftlichen Wohlergehen seiner Kurie. Ich habe viele Jahre in seiner Schreibstube zugebracht und mit seinen Handelspartnern im ganzen Reich konferiert.«
    »Es ist nicht nötig, mir Ihre Lebensgeschichte zu beichten.«
    »Der Bischof hatte gute Handelsbeziehungen in die niederländischen Staaten. Es blieb nicht aus, dass man zum Beispiel ein wenig Flandrisch lernte, wenn man mit der Korrespondenz befasst war.«
    Calendars Gesicht wurde lediglich ein wenig starrer, wenn man das im dämmrigen Fackellicht überhaupt feststellen konnte.
    »Wie lautet eigentlich Barberros richtiger Name?«, fragte ich.
    »Wen interessiert der Name eines Schweins, das man schlachten will?«, fragte er zurück. Er schloss die Augen für

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