Die schwarzen Wasser von San Marco
Schritte an Deck hörte, die sich mir näherten. Ich erstarrte. Eine Gestalt lehnte sich an die Reling und schien es sich dort bequem machen zu wollen. Ich sah, dass der Mann zur Piazzetta hinüberspähte. Er hob ein Trinkgefäß an die Lippen und trank. Ich hörte ihn rülpsen.
» Eh, Fulvio ?«, rief eine der Wachen.
Fulvio grunzte zustimmend. Er begann mit einem Messer in seiner anderen Hand müßig im Holz der Reling herumzupicken, während er den Trinkbecher drehte und unschlüssig schien, ob er sich Nachschub holen sollte. Etwas in seiner Nase erregte seine Aufmerksamkeit, und er spickte das Messer in die Reling und widmete dem Inneren seiner Nasenlöcher eine längere Untersuchung. Ich stand zwei Mannslängen unter ihm und wagte nicht, die verkrampfte Haltung aufzugeben, in der ich erstarrt war. Der Schweiß lief mir erneut in die Augen.
Fulvio wischte sich die Finger unter der Achsel seines Hemdes ab und setzte dann sein nervöses Klopfen fort. Gerade begann er, halblaut mit den Wachen zu sprechen. Der Zeitpunkt schien gekommen zu sein, trotz seiner Gegenwart weiterzuschleichen. Er war abgelenkt und beobachtete den Kai nicht. Bis zur Brücke waren es nur wenige Schritte. Ich konnte es schaffen.
Doch ich zögerte zu lange. Mit einem durchdringenden Heulen schoss auf der Piazzetta ein Feuerwerkskörper in die Luft, ein weiß glühender Feuerschwanz wie ein Meteor, der die Erde verlässt, anstatt auf sie herniederzustürzen. Das Signal für die Männer auf San Giorgio Maggiore, ihr Feuerwerk ebenfalls abzubrennen. Der Feuerwerkskörper war so gleißend hell, dass er die ganze Umgebung taghell erleuchtete und meine Gestalt einen langen Schlagschatten warf. Er war sogar so hell, dass ich jede Runzel in Fulvios hagerem Gesicht sehen konnte und die Überraschung in seinen Zügen, als er direkt auf mich herabsah.
Ich begann zu rennen.
11
Ich kam bis zur Brücke, als der erste Feuerwerkskörper erlosch. In die Sekunde der Stille vernahm ich Fulvios barsche Kommandos, der sich schnell von seiner Überraschung erholt hatte. Der Laufsteg knallte erneut auf den Kai. Es war plötzlich so dunkel, dass ich die Stufen der kleinen Brücke mehr hinauffiel, als dass ich rannte. Dann begannen von San Giorgio Maggiore und von der Piazzetta die anderen Feuerwerkskörper zu starten, und das einsetzende Blitzen, Zucken und Flackern in allen Farben machte meine Flucht über das unebene Pflaster noch schwieriger. Das Knattern und Knallen der Explosionen übertönte jedes Geräusch, das von Barberros Schiff kommen mochte. Ich keuchte die Stufen der Brücke auf der anderen Seite hinunter und wandte mich um: Zu meinem Entsetzen war mir Fulvio dicht auf den Fersen und steuerte bereits auf die andere Seite der Brücke zu. Er musste die zwei Mannshöhen vom Deck des Schiffs hinabgesprungen sein, statt auf den Laufsteg zu warten. Offensichtlich konnte Barberro auf seinen Leutnant zählen, auch wenn mir Fulvios Zuverlässigkeit in diesen Momenten alles andere als wünschenswert erschien. Fulvios Mund war weit aufgerissen, und zweifellos schrie er mir eine Menge Verwünschungen hinterher, doch der Lärm des Feuerwerks erstickte alle Geräusche. Hinter ihm, von der Kogge, rannten soeben die ersten von ihm alarmierten Männer den Laufsteg hinunter.
Die Riva degli Schiavoni erstreckte sich breit und lang vor mir, bis zur Piazzetta war es noch weit. Sobald eine Salve Feuerwerkskörper von San Giorgio Maggiore startete, warfen die Schiffe, die entlang des Kais vertäut lagen, flackernde Schattenrisse in den roten, gelben und weißen Widerschein der Explosionen auf das Pflaster – wie die Straßen Roms, als Nero seine Stadt in Brand steckte. In den Schatten herrschte tiefste Finsternis. Wenn Fulvio mich hier erwischte, würden es die Wachen auf den Schiffen nicht einmal bemerken, wenn sie direkt auf den Kai heruntergesehen hätten. Aber auch wenn Fulvio mich in einem der erleuchteten Abschnitte einholte, hätte mir die Gegenwart der Schiffswachen nichts genutzt: Sie alle spähten in den Himmel oder zu San Giorgio Maggiore hinüber. Hannibals Armee hätte auf der Riva degli Schiavoni aufmarschieren können, ohne dass sie es zur Kenntnis genommen hätten.
Es war alles eine Sache von wenigen Augenblicken. Mein Atem ging bereits schneller und mein Herz begann wild zu pumpen. Fulvio stolperte auf der Trittfläche der Brücke und musste nach unten sehen, um nicht zu stürzen. Ich schlug einen Haken und rannte in den schwarzen Rachen einer calle
Weitere Kostenlose Bücher