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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Bader hat jemals eine Frau gefragt, als er seine Ergüsse auf Pergament bannte. Kinder … entstehen. Wie eine Blume … zuerst ein Samenkorn, dann ein Schössling, dann erst die Pflanze. Besser kann ich es nicht beschreiben.« Sie wischte sich die Augen. »Es ist ein größeres Wunder als all der Schwachsinn, mit dem die Besserwisser Gottes Werk verunglimpfen.«
    »Ein Wunder, das nur Schmerz für mich bereithält«, stieß ich mühsam hervor.
    Clara nickte und sah Hilfe suchend zu Fiuzetta hinüber. »Man sagt, dass die Kinder erst im Moment der Geburt ihre Seele erhalten. Das wollte Fiuzetta Ihnen erklären. Ich bin mir da nicht sicher. Tatsache ist aber, dass die Seele Ihres Kindes jetzt da ist, wo sie hingehört: bei Gott.«
    Ich starrte sie an und versuchte, mich getröstet zu fühlen. Stattdessen würgte mich eine neue Woge des Schmerzes. Ich schüttelte den Kopf und merkte, dass ich nicht mehr damit aufhören konnte. Wenn es ein Junge würde, bekäme er meine Statur; wenn es ein Mädchen würde, Janas dunkle Augen. Auf dem Weg vom Dogenpalast zurück zur Herberge hatte ich bereits über einen Namen nachgesonnen.
    »Ich will es sehen.«
    »Nein«, sagte Clara.
    »Ich will von ihm Abschied nehmen.«
    Claras Blick sagte mir deutlicher als alle Worte, dass da nichts war, von dem ich Abschied nehmen konnte. Das Samenkorn, der Schössling, im Heranreifen war es unterbrochen worden und abgestorben, ein Etwas, in ein kleines, blutiges Tuch eingeschlagen. Es riss mir das Herz entzwei. »Was ist mit Jana?«, brachte ich hervor.
    Clara Manfridus trat an mich heran und nahm mich wortlos in die Arme. Fiuzetta stand neben uns und hatte eine Hand vor die Augen geschlagen. Ich ließ den Kopf auf Claras Schulter sinken und weinte.
    Kurz vor Mitternacht war Jana aufgewacht von einem Schmerz, der durch ihren Leib schnitt wie ein Messer. Sie wusste, dass etwas nicht stimmte; und vielleicht hatte sie es die ganze Zeit über schon geahnt. Sie versuchte sich zusammenzunehmen und befahl der aufgeschreckten Julia, Clara Manfridus zu alarmieren. Als Clara in die Kammer stürzte, wand Jana sich bereits vor Schmerzen. Wenige Augenblicke später rannte Moro aus dem Haus, ohne sich um die Nachtpatrouillen zu kümmern, traf eine Viertelstunde später keuchend vor dem Haus der Hebamme ein und trommelte Fiuzetta und ihre Arbeitgeberin aus dem Schlaf. Die Hebamme blieb ruhig, sandte Moro zum Hospital hinüber, wo sich immer eine Nachtwache befand, und sorgte für eine offizielle Begleitung durch die nachtdunklen Gassen. Als sie endlich in Manfridus’ Herberge eintrafen, war Jana fast besinnungslos. Die Hebamme fettete sich die Hände ein und holte etwas aus Jana hervor
    – ein Samenkorn, einen Schössling
    und versuchte, die Blutung zu stillen. Jana verlor während der Prozedur endgültig das Bewusstsein. Die Hebamme massierte und bearbeitete Janas Unterleib und verrieb eine Kräuterpaste darauf und drückte und schlug; jeder Arzt, der sie dabei gesehen hätte, hätte sie der Hexerei angezeigt, und jeder Richter, dem der Arzt die Prozedur beschrieben hätte, hätte sie auf den Scheiterhaufen geschickt. Die Hebamme keuchte, dass noch etwas in Jana sei und heraus müsse, wenn sie nicht sterben solle – ein Klumpen wie ein Organ, der das Kind in ihrem Leib hätte ernähren sollen wie der Dotter das Küken im Ei. Die Hebamme und Fiuzetta wechselten sich ab, während Clara die Treppen auf- und abrannte und Julia vor Angst weinend in der Küche Hühnerknochen auskochte, um eine Suppe zu gewinnen. Manfridus bestach die Wachen, die Moro und die beiden Frauen herbegleitet hatten, und sie halfen Moro, der alle Plätze nach mir absuchte, von denen er sich erinnern konnte, dass wir darüber gesprochen hatten,
    – einen campo nach dem anderen, immer schön der Reihe nach
    ohne mich zu finden. Nach zwei oder drei Stunden kam heraus, was herauskommen musste, und die Hebamme war erleichtert. Doch Jana erwachte nicht aus ihrer Bewusstlosigkeit, und die lebenswichtige Suppe konnte ihr ebenso wenig eingeflößt werden wie auch nur der kleinste Schluck Wasser. Auf diese Weise aller ihrer Hilfsmittel beraubt, befahl die Hebamme den anderen Frauen, zu beten. Unten in der Schankstube saß Michael Manfridus und wand sich bei dem Gedanken, mir die Nachricht überbringen zu müssen, und Moro war zum ersten Mal seit langen Jahren wieder sprachlos.
    Ich saß in der Schankstube gegenüber von Michael Manfridus. Sein Gesicht wirkte erschöpft und grau. Ich war

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