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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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leichten, sauberen Decke. Das Bett wirkte riesig, Jana darin wie ein Kind. Die Decke war bis zu ihrer Brust hochgeschlagen und schmiegte sich eng an ihren schlanken Körper. Ihre Arme lagen gerade ausgestreckt an ihren Seiten, die Handflächen nach oben gedreht, die Finger leicht gekrümmt. Es war dieses Zeichen der Hilflosigkeit, die offenen Handflächen, das mir die Tränen in die Augen treten ließ. Ich spürte etwas in meinem Inneren erbeben, das schlimmer war als jeder andere Schmerz. Ihr Gesicht war wächsern, die Augenlider bläulich verfärbt, die Augen eingesunken und die Schatten darunter aschgrau. Ihr Haar war geöffnet und lag ausgebreitet auf dem Kissen. Es schimmerte nicht wie sonst im Kerzenlicht. Die kleinen Falten um ihre Mundwinkel waren fast geglättet. Es war nicht Janas Gesicht, sondern vielmehr eines, das ein Künstler beinahe perfekt dem ihren nachgebildet hatte, geknetet aus totem Lehm, gehauen aus totem Stein, gemalt auf tote Leinwand. Das Bild verschwamm vor meinen Augen.
    Auf der einen Seite des Bettes kniete Julia, die gefalteten Hände zu einem Gebet erhoben, das Gesicht in die Arme vergraben und von unablässigem Schluchzen erschüttert. Auf der anderen Seite sah ich die zusammengekauerte Gestalt der alten Hebamme. Auch sie betete leise vor sich hin. Fiuzetta kniete neben ihr, die Augen gerötet und die Arme um ihren Bauch geschlungen. Sie starrte ins Leere. Als sie meiner gewahr wurde, wandte sie sich um.
    Mühsam richtete sie sich auf und straffte sich. Ihr blondes Haar hing in feuchten Strähnen in ihr Gesicht, ihre Wangen waren fiebrig rot. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und trat auf mich zu. Ich wandte den Blick von Janas Körper ab und sah sie an. Fiuzetta nahm meinen Arm und führte mich zur Tür, und ich war erstaunt, wie weit der Weg dorthin war. Nachdem sie sie geöffnet hatte, schlüpfte Clara Manfridus mit abgewandtem Gesicht herein und schlurfte zum Bett hinüber. Fiuzetta führte mich hinaus auf den kurzen Gang, der von der Treppe zur Kammertür lief. Nach der Hitze im Inneren der Kammer fror ich auf dem kühleren Gang. Ich erschauerte.
    »Ich kann deine Sprache ein wenig«, sagte Fiuzetta unbeholfen und mit einem so schweren Akzent, dass ich in meinem Zustand Mühe hatte, den Sinn ihrer Worte zu verstehen.
    »Ich weiß, die deutschen Kaufleute spenden viel und reichlich«, erwiderte ich dann tonlos. Fiuzetta hob überrascht die Augenbrauen.
    »Ich war bei Rara«, erklärte ich erschöpft.
    »Haben sie dir gesagt, was passiert ist?«, fragte sie und deutete nach unten zur Schankstube, wo Michael Manfridus wahrscheinlich immer noch hockte und sich schlecht fühlte und kleine Stückchen von seinem Kienspan abbrannte, während Moro hinter ihm in der Dunkelheit stand wie sein eigener Schatten.
    »Nein.«
    » Messère Bernward, es kann sein, dass sie sterben muss.«
    Ich nickte stumm und kämpfte die Tränen nieder. Ich war sicher, wenn ich ihnen nachgab, würde ich auf den Boden sinken und stundenlang heulen wie ein Wolf.
    »Es war … sie hatte ein Kind.« Fiuzetta strich sich über die Augen und legte zugleich mit einer unbewusst schützenden Geste die Hand auf ihren Bauch. »Das Kind ist tot.«
    – Mein Kind ist tot. Es hat einen Atemzug gehabt. Es wird nie wieder atmen.
    Ich wusste nicht, wie das Kind ausgesehen hatte, das in Jana herangewachsen war. Ich wusste, dass ein Kind von Anbeginn aussah wie später bei der Geburt, nur winzig klein; ich hatte Zeichnungen gesehen. Ich wusste nicht, ob es geatmet hatte. Ich wusste, dass Marias und mein viertes Kind einen Atemzug getan hatte, bevor es starb. Ich fühlte die Tränen über mein Gesicht laufen.
    »Weine nicht wegen dem Kind. Es hatte noch keine anima . Die Anima ist noch beim Herrn im Himmel.«
    »Was sagst du da?«, schluchzte ich.
    Fiuzetta breitete hilflos die Arme aus. »War noch so klein.« Sie deutete eine Spanne zwischen Daumen und Zeigefinger an.
    Plötzlich schob sich eine Hand in meine, und ich sah überrascht auf. Clara Manfridus stand neben mir. Ich hatte nicht gemerkt, dass sie aus der Kammer gekommen war. Fiuzetta trat erleichtert einen Schritt zurück.
    »Janas Schwangerschaft war erst zwei Monate alt«, sagte Clara mit rauer Stimme. »Was Fiuzetta Ihnen sagen will, ist, dass ein Kind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ist als … als … es ist jedenfalls nicht so, wie in diesen idiotischen medizinischen Traktaten, in denen ungeborene Kinder dargestellt werden wie winzige Erwachsene. Keiner dieser

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