Die schwarzen Wasser von San Marco
ebenfalls zu kneten. Die kleinen Knochen und Sehnen verschoben sich in meiner Hand und täuschten Bewegung vor, wo keine war.
Fiuzetta sah so müde und grau aus wie alle anderen. Auf ihrer linken Wange war ein verheilender Schnitt, der ihre ätherische Schönheit unter normalen Umständen noch hervorgehoben hätte. Ich fragte mich, warum sie geblieben war, da ihre Arbeitgeberin sich geschlagen zurückgezogen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie sich in einer ähnlichen Lage wie Jana fühlte. Vielleicht versuchte sie im Stillen ein Abkommen mit Gott zu treffen: Herr, ich helfe dieser Frau, und dafür verschonst du mich mit ihrem Schicksal. Ich dachte wie ein Kaufmann. Ich sah ihr zu, wie sie Julia vorsichtig dabei half, eine verfilzte Haarsträhne glatt zu kämmen, ohne dabei Janas Hand loszulassen.
»Danke, dass du da bist«, sagte ich zu ihr.
»Warum warst du bei Rara?«, fragte sie.
»Ich habe jemanden gesucht.«
Sie arbeitete an dem nächsten Wort. Sie hatte von den Kaufleuten des Fondaco nur das Nötigste gelernt, um sich zu verständigen. Ich fragte mich, wie sie überhaupt mit den Männern ins Gespräch gekommen war, die Raras Rettungsaktionen auf dem Sklavenmarkt unterstützten. Wie viele davon gingen wohl bei Rara ein und aus, damit einer ihrer Schützlinge überhaupt so etwas wie Sprachkenntnisse hatte aufschnappen können? Ich kannte meine Landsleute – sie waren durchaus auch bereit, Gutes zu tun, wenn die Gelegenheit dazu an ihre Haustür klopfte und sie sich nicht anzustrengen brauchten, um zu helfen.
»Wozu?«, fragte Fiuzetta.
»Ich suche einen von den Gassenjungen«, erklärte ich wahrheitsgemäß. Ich wollte über Jana hinweg keine Lügen austauschen. »Ich fürchte um sein Leben. Seine Schwester lebt bei Rara. Ich wollte ihm über sie eine Botschaft zukommen lassen.«
Fiuzetta nickte. »Ich habe auch bei Rara gelebt.«
»Ich weiß.«
Julia hatte die Arbeit an Janas Haar beendet. Sie ließ die Hände in den Schoß sinken und begann wieder zu weinen. Das Mädchen hatte keine gute Zeit als Janas Zofe zugebracht. Plötzlich fand ich mich in der absurden Lage wieder, die junge Frau trösten zu müssen.
»Suppe«, sagte Fiuzetta. Julia sah tränenblind auf. »Hol Suppe, bitte. Sie muss essen.«
Julia verließ schniefend das Zimmer. Fiuzetta legte Janas schlaffe Hand auf ihre Brust, diese hob und senkte sich leicht unter Janas flachen Atemzügen. Ich fuhr unermüdlich fort, ihre andere Hand zu massieren. Mich verzweifelt an jedes Zeichen klammernd, dass es Jana etwas besser ging, meinte ich zu spüren, wie ihre Hand ein wenig wärmer wurde.
Julia kam mit einer Schüssel dampfender Suppe zurück. Fiuzetta stellte das Gefäß vor sich auf das Bett und tauchte einen Finger in die dickliche Flüssigkeit. Dann strich sie mit dem benetzten Finger über Janas Lippen. Als sie es ein zweites Mal tat, formte sich ein Tropfen in Janas Mundwinkel und lief über ihre Wange. Fiuzetta wischte ihn fort und strich ein drittes Mal Suppe über Janas unbewegliche Lippen. Ich beobachtete sie dabei und hörte in meinem Inneren etwas voller Entsetzen aufheulen. Julia hatte bereits das Zimmer verlassen, da sie es anscheinend nicht mehr mit ansehen konnte.
»Wozu willst du den Jungen retten?«, fragte Fiuzetta leise.
2
Ich zögerte, Fiuzettas Frage zu beantworten, und drückte stattdessen Janas Hand. Sie fühlte sich noch zarter an als das Handgelenk des Burschen, der mich hatte bestehlen wollen.
»Weil es sonst niemand tut«, sagte ich schließlich.
Sie nickte langsam, als gebe sie sich damit zufrieden.
»Ich bin schwanger«, erklärte Fiuzetta, ohne weiter auf meine Antwort einzugehen. Sie wischte einen weiteren Tropfen von Janas Wange. Mit einer zitternden Hand fasste ich nach oben und strich über Janas Lippen. Sie öffneten sich ein wenig. Ich war erschrocken, wie kalt sie sich anfühlten. Fiuzetta warf mir einen Blick zu und strich eine weitere Spur Suppe auf Janas halb geöffnete Lippen.
»Und ich bin eine Nutte.«
»Jana hat mir beides mitgeteilt.«
Das Geständnis kostete Fiuzetta sichtlich Mühe, und das Sprachhindernis machte es nicht leichter. »Ich kenne den Vater des Kindes.«
»Fiuzetta, es ist nicht von Belang, wie du dir dein Brot verdienst«, erwiderte ich ruhig.
Fiuzetta schüttelte den Kopf. Sie schloss sanft Janas Lippen und hielt ihre Hand über deren Mund und Nase. Janas Kehle machte eine schwache Schluckbewegung. Fiuzetta nahm die Hand weg, öffnete Janas Mund wieder und strich
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