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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Welt bringen. Es wird verrecken und ich mit ihm.«
    »Ich werde nichts verraten.«
    Sie sah mich an. Ich versuchte erneut zu lächeln und ihre Zweifel zu zerstreuen. »Kann dir niemand helfen?«
    »Wer sollte das?«
    »Warum nicht Rara?«
    Sie schüttelte den Kopf so vehement, dass ich die Idee sofort verwarf.
    »Vielleicht könnte ein anderer … war Fabio Dandolo dein erster Mann, nachdem du von Rara weggegangen bist?« Die Frage war mir noch peinlicher, als sie sich anhörte. Aber im nächsten Moment rechnete ich nach und wusste, es konnte nicht so sein. Fiuzetta schüttelte den Kopf kaum merklich.
    »Es gab einen Mann vor ihm. Es ging nicht lange. Ich war froh darüber.«
    »Fiuzetta, wie alt warst du, als du Raras Haus verlassen hast?«
    »Sedici.«
    »Sechzehn. Wie alle. Wohin hat Rara dich vermittelt?«
    » Consigliere Leonardo Falier«, flüsterte Fiuzetta.
    »Was? Aber das ist doch der mächtigste Mann in der Stadt. Warum bist du aus seinem Haushalt weggegangen, um … nun, um eine Kurtisane zu werden?«
    »Ich bin nicht weggegangen.«
    »Er hat dich aus dem Haus gewiesen? Aber warum?«
    »Er wollte mich nicht mehr.«
    »Was soll das heißen?«, fragte ich ungeduldig. »Er wollte dich nicht mehr? Er hat dich doch gar nicht gekannt, wenn du irgendwo in der Küche gearbeitet hast oder als Dienstmädchen seiner Frau. Er hat dich vermutlich nie …« Ich stutzte. Fiuzetta lächelte unglücklich. Sie hatte die Suppenschüssel beiseite gestellt und streichelte jetzt Janas Stirn mit mechanischen Bewegungen.
    »Falier war der Vorgänger von Fabio Dandolo«, sagte ich.
    Über Fiuzettas Wange lief eine Träne. Sie ließ sie auf das Laken tropfen. »Si« , sagte sie erstickt.
    »Jana hat gesagt, du seist neunzehn Jahre alt.«
    »Ich glaube, das stimmt; ich weiß es nicht genau.«
    »Wenn du zwei Jahre lang mit Fabio Dandolo zusammen warst, warst du siebzehn, als Falier dich weggeschickt hat. Wie lange warst du denn in seinem Haus? Nur ein Jahr?«
    »Si.«
    »Warum um alles in der Welt hat er dich hinausgeworfen? Du warst ihm doch zu Willen. Hast du gedroht, es seiner Frau zu verraten?«
    Fiuzetta schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Narr, aber nicht so ein großer.«
    »Warum dann?«
    Ihr Gesicht verschloss sich. »Ich weiß nicht«, log sie. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Jana zu. »Du kannst gehen«, sagte sie zu mir, ohne mich anzusehen. »Ich bleibe hier und passe auf.«
    »Ich löse dich ab.«
    Sie sah mich erstaunt an.
    »Du hast dir die halbe Nacht um die Ohren geschlagen. Du musst müde sein.«
    »Wenn ich müde werde, sage ich es Giulia. Sie löst mich ab. Monna Clara kann nicht; sie hat das Geschäft mit dem Haus.«
    »Nein, ich werde dich ablösen.«
    »Das ist keine Sache für Männer.«
    Das hatte ich damals auch gedacht, in meiner Stube über meinen Bilanzen sitzend, während zwei Türen weiter meine Familie in einer Woge von Blut davongeschwemmt wurde: Es ist eine Geburt; keine Sache für einen Mann. Erst der Tod war wieder meine Sache gewesen. Ich sah auf Janas starres Gesicht hinunter. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte die warme Suppe wenigstens etwas Farbe in ihre Lippen gebracht. Sie schienen jetzt nicht mehr so dünn wie Pergament zu sein. Fiuzetta stellte die Suppenschüssel auf den Boden und fuhr sich über das Gesicht.
    »Ich darf nicht vergessen, sie umzudrehen«, sagte sie mehr zu sich selbst. »Sie kriegt totes Fleisch, wenn sie zu lange auf derselben Stelle liegt.«
    Wir betteten Jana auf eine Seite. Ich stützte ihren Kopf. Es war kein Widerstand zu fühlen, als wir sie drehten. Sie war so schlaff wie in einer tiefen Ohnmacht. Ich wagte nicht darüber nachzudenken, in welchem Zustand sich ein Körper ebenso widerstandslos und schwer anfühlte.
    – Tote fühlen sich so an.
    Ich blickte zu der Matratze hinüber, die in einer Ecke lag und bis jetzt Julias Schlaflager gewesen war. Vielleicht sollte ich mich auf die Matratze legen und schlafen. Doch ich wusste, dass ich kein Auge zutun würde.
    »Du weißt viel«, sagte ich zu Fiuzetta.
    »Ich muss alles lernen. Wenn Mariana nicht mit mir zufrieden ist, bin ich am Arsch.«
    »Mariana?«
    »La levatrice.«
    Ich setzte mich probehalber auf die Matratze. Meine langen Beine waren mir im Weg. Ich versuchte mich an die Wand zu lehnen und merkte, dass die Unterlage sofort unter meinem Hintern ins Rutschen geriet. Fiuzettas Sprachschatz glich bestürzend den Brocken, die ich von Maladente gehört hatte. Aus ihrem engelsgleichen Gesicht mit aller

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