Die schwarzen Wasser von San Marco
Arglosigkeit geäußert, waren die groben Worte wie Schläge ins Gesicht. Während ich darüber nachdachte und die Augen schloss, bemächtigten sich meiner andere Gedanken. Ich vernahm die raschelnden Geräusche von Fiuzettas Kleid, als sie sich über Jana beugte, und es hörte sich an, als würde ein Engel die Schwingen zusammenfalten, auf Jana hinunterblicken und sich bereitmachen, ihre Seele mit sich zu nehmen.
– Wie die Kutte des Sensenmannes, während er den Arm zum Streich erhob.
Ich stand wieder auf und trat zum Fenster. Fiuzetta warf mir einen Blick zu, sagte aber nichts. Sie schien nicht begreifen zu können, warum ich ihrer Aufforderung nicht folgte, die Kammer zu verlassen. Sie war jetzt das Krankenlager einer Frau, und ich hatte meinen Höflichkeitsbesuch mehr als ausreichend ausgedehnt. Venedigs Dächer schimmerten tiefrot im frühen Sonnenschein, das Wasser der Kanäle dazwischen, breite Straßen aus unruhig glitzerndem Gold. Es war ein fantastischer Anblick, so wunderschön wie in einem Märchen. Undenkbar, dass hier, in diesem Raum, meine Gefährtin mit dem Tod rang und den Kampf vielleicht verlieren würde. Ich bemühte mich, ein Schluchzen zu unterdrücken. Stattdessen starrte ich krampfhaft zum Fenster hinaus und sah nichts mehr als das bunte Schimmern, und selbst das verschwamm mir vor den Augen und ließ mich den tiefen, finsteren Brunnen erkennen, der dahinter auf mich wartete. Ich hätte am liebsten laut geschrien und den Fensterrahmen mit meinen Fäusten bearbeitet. Fiuzetta murmelte etwas. Ich nahm an, dass sie wieder betete. Mir wurde bewusst, dass auch ich bereits die ganze Zeit über betete, ein stummes Flehen, das meine Angst nur noch vergrößerte. Wenn nun meine bösen Worte von gestern Abend die letzten waren, die Jana je von mir hören würde? Wenn unser Streit schuld daran war, dass … geschah, was geschehen war?
– Herr, lass sie am Leben!
Ich war dankbar, dass bald darauf jemand vor der Tür hustete und eintrat. Es war Manfridus. Er warf einen Blick auf das Bett hinüber und wandte sich gleich wieder ab. Er wirkte ungehalten, und auch mir wollte er nicht in die Augen sehen.
»Ein Bote für Sie ist unten«, sagte er.
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. »Was will er?«
»Er soll Sie zu Enrico Dandolo bringen.«
»Und was will er ?«
Manfridus schüttelte den Kopf und schob die Oberlippe vor. »Das müssen Sie ihn schon selbst fragen«, erwiderte er.
»Dandolo kann mir gestohlen bleiben. Ich will hier nicht weg.«
Fiuzetta murmelte etwas und sah dabei von mir zu Manfridus.
»Sie sagt, Sie können hier nichts ausrichten. Es tut Ihnen gut, wenn Sie die Kammer für einige Zeit verlassen.«
»Ich mache sie nervös.«
Manfridus zuckte mit den Schultern.
»Geh«, sagte Fiuzetta und versuchte zu lächeln. »Komm bis zum Mittag zurück, das ist genug.«
»Und wenn … ich möchte …«
»Es wird nichts geschehen in der nächsten Zeit, weder gut noch schlecht. Der Kampf dauert noch. Sie kann ihn nur allein ausfechten. Allein und hiermit.« Sie hob die Suppenschüssel hoch und lächelte nochmals.
Manfridus legte mir eine Hand auf die Schulter. »Messèr Dandolos Haus liegt in der Nähe des Campo San Stae. Über den Canàl Grande ist es einfach zu erreichen. Wenn sich etwas an Janas Zustand ändert, kann Moro Sie schnellstens benachrichtigen. Kommen Sie. Wenn man bei einer Sache nichts ausrichten kann, ist es besser, man kümmert sich um eine andere.«
3
Dandolos Bote führte mich schweigend von der Herberge zur Rialto-Brücke, wo ein flaches Boot auf uns wartete. Wir ruderten unter der mächtigen Holzbrücke hindurch, deren Mittelteil sich längst wieder geschlossen hatte, vorbei an der wuchtigen Fassade des Fondaco dei Tedeschi und weiter durch die nördliche Krümmung des Kanals in nordwestlicher Richtung. Die Sonne beschien die bunten Gondeln vor den Anlegestellen des südwestlichen Kanalufers, ließ Palastfassaden und die Fronten von Lagerhäusern gleichermaßen aufleuchten. So früh am Tag war das gegenüberliegende Ufer noch in die Schatten der Häuserfronten getaucht. Der Bootsverkehr auf dem Kanal war immens, doch die meisten Wasserfahrzeuge waren einfach gebaute Fischer- und Transportboote. Die prunkvollen Gondeln der reichen Patrizier ließen noch auf sich warten. Dennoch zweifelte ich nicht daran, dass in den herrlichen Palästen das Geschäftsleben bereits in vollem Gange war und die Kaufleute sowie deren Schreiber seit dem Morgengrauen danach
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