Die schwarzen Wasser von San Marco
trachteten, ihren und den Reichtum Venedigs weiter zu mehren. Trotzdem schien die Zeit für geschäftliche Verabredungen und Besuche mir noch etwas verfrüht. Ich fragte mich, was Enrico Dandolo von mir wollte, und bedauerte, seiner Aufforderung gefolgt zu sein. Ich wollte wieder zurück zu Jana. Doch als ich an ihren Anblick in dem breiten Bett dachte und wie Fiuzetta versuchte, die nährende Suppe tröpfchenweise in sie hineinzubekommen, war ich gleichzeitig erleichtert darüber, nicht dort zu sein.
Nach einer Weile bogen wir in einen engen rio ein, unterquerten eine Brücke und legten keine fünfzig Schritte weiter bei einer zweiten an. Links drückte sich eine enge fondamenta an den Hauswänden entlang. Zu unserer Rechten erhob sich ein dunkles Haus aus dem Wasser, dessen dem rio zugewandte Seite dringend der Überholung bedurft hätte. Die Wand neigte sich leicht über den engen Kanal und machte ihn noch finsterer, als er ohnehin schon war. Das Gebäude war unverputzt, sein Baustoff blutfarbener Ziegel, an vielen Stellen schwarz verfärbt. Es verfügte über eine kleine Anlegestelle, ein hölzernes Trittbrett, von dem Stufen zur Brücke hinaufführten. Dandolos Bote half mir aus dem Boot. Die Brücke führte geradewegs zum Eingangstor des Hauses; die davor liegende Gasse machte einen kleinen Versatz nach links und lief dann weiter, so eng, dass zwei Menschen nicht aneinander vorbeigekommen wären, ohne sich gegen die Mauern zu pressen. Jenseits der Gasse, gegenüber der Wand, die die Schmalseite von Dandolos Haus darstellen musste, lag hinter einer brüchigen Mauer eine offene Wiese, ein Grundstück, auf dem sich da und dort noch Reste von Gemäuer aus dem Gras erhoben. Jemand schien dort ein altes Haus eingerissen, den Neubau aber dann nicht mehr begonnen zu haben. Einzig durch diese Lücke konnten einige Sonnenstrahlen den Boden der Gasse erreichen. An sonnenlosen Tagen musste es hier so dunkel sein wie nach dem Einbruch der Dämmerung in einem großzügigeren Teil der Stadt.
Entweder hatte Enrico Dandolo das alte Haus des Pechvogels gekauft, der es nicht mehr vermocht hatte, den geplanten Neubau gegenüber zu beginnen; oder er selbst war derjenige, der vergeblich versucht hatte, sein Heim zu erneuern. Die unbebaute Fläche sah ebenso vernachlässigt aus wie Dandolos Palast. Ein kurzes Stück nordwestlich davon, zum Canàl Grande hin, ragte eine bedeutend prunkvollere Fassade über die Dächer auf, die mir bekannt erschien. Plötzlich wusste ich, dass ich dort schon zu Gast gewesen war, bei unserem ersten Aufenthalt in Venedig vor einigen Monaten. Es war das Haus von Giovanni Mocenigo, dem Kaufmann, der versucht hatte, Jana zu übervorteilen und von ihr ausmanövriert worden war; der Kaufmann, der jetzt der Doge war und sicherlich erfreut wäre, zu erfahren, wie schlecht es der Frau ging, die ihm die Stirn geboten hatte. Enrico Dandolos Haus lag in einer guten Nachbarschaft. Fraglich, ob seine Nachbarn ebenso dachten.
Ich wurde in eine Vorhalle geführt, die sich über die ganze Tiefe des Hauses zu erstrecken schien. Entlang der Wände standen einige Kisten und waren Säcke und Fässer gestapelt. Die Halle diente als Lade- und Entladeplatz für die Güter, mit denen Dandolo handelte. Die Fässer sahen einigermaßen neu aus; die Kisten waren verstaubt und die Säcke so in sich zusammengesunken, dass man sie schon lange nicht mehr bewegt haben konnte. Wo ich das geschäftige Treiben eines Lagermeisters und seiner Gehilfen oder wenigstens des Hausherrn erwartet hatte, der seine Waren in Empfang nahm und auf den Weg brachte, herrschte Stille. Ein Schreibpult stand in der Nähe des Treppenaufgangs, der die linke Wand der Vorhalle in zwei annähernd gleiche Hälften teilte. Auch die Platte des Schreibpults war verstaubt. Die Türen zu den Lagerräumen waren verschlossen; ich war sicher, dass sich dahinter nichts weiter als gähnende Leere befand.
Die Treppe war eng und abgenutzt. Auch hier sah man dem Haus sein Alter an. Es gab kaum Licht, das Fenster auf dem Treppenabsatz, das nach Nordwesten hinausführte, war klein. Als ich einen Blick hinauswarf, konnte ich rechterhand eine Kirchenfassade erkennen, vermutlich die Kirche von San Stae, links schob sich eine Ecke des Palazzo Mocenigo ins Blickfeld.
Wir traten im Obergeschoss in einen Saal, der die gleichen Ausmaße wie die Vorhalle darunter hatte. Er war prächtiger als der in Raras Haus, aber nicht viel. Gegenüber führten drei geschlossene Türen in die
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