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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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jüngsten Vorgänge, Inneneinrichtungen, Liebschaften und Scheidungen im Viertel, schwappte, wenn die Damen sich im Bewußtsein lebenstüchtiger Frisurtriumphe ein Dresdner Gedeck (Kaffee, Eierschecke) im Parkhotel gönnten, in den Schlitzohr-Charme seines Betreibers und daraus, im Bunde mit den Einflüsterungen eines Stehgeigers, wieder ins Viertel zurück. Unterwegs von der Schule, mit der Jovialität des Schauspielers Dehler aufgeladen, der in der Kurparkstraße seinen Opel Kapitän wusch und mit Ochsensuppenbaß: Was wollt ihr in diesem Hain (er sprach den Holländermichel in einer bekannten Aufnahme von Hauffs »Kaltem Herz«) donnergrollte, trafen wir ängstliche Absprachen über den Augenblick, wenn wir den Herreneingang des Friseursalons Harand passieren würden, an einem Schirmständer vorbei den Vitrinen mit Vorkriegsreklamen entgegen, bis zur Phalanx aus weißbekittelten Autoritäten; den Moment, wenn Harands Gehilfen die Köpfe von ihrem aktuellen Geschäft heben und knapp taxierende, uns sofort zum »Kroppzeug« ordnende Blicke ausklappen würden, jeder der Friseure mit gesticktem Namen auf der Kittelbrusttasche, aus der Zinken eines schwarzen Ebonitkamms und, wie das Brillenmuster einer Kobra, zwei Scherenaugen ragten. Und dabei half uns noch der Geruch der Schlämmkreide auf den Tennisplätzen des TC Bad Weißer Hirsch, das Geräusch der Schleppen, mit denen wir die Aschegevierte abzuziehen hatten, wenn wir spielen wollten, die Wucht eines gutsitzenden Returns (wir spielten noch mit weißen, markenlosen Tennisbällen, unsere Schläger waren aus Holz und schwer, nach dem Spiel mußten wir die Schlagfläche im Spannrahmen justieren); es halfen die Wasserkünste der Brunnen-Hygieia im Rathauspark, der verfallende Konzertplatz mit seinen von den Buchen ringsum herbeigekehrten Erinnerungen an Akkordeonschluchzen, Kurorchester und die frivol-augenzwinkernden Couplets der Gassenhauerzeit (»… kleine entzückende kleine berückende fahrkartenzwickende Hand« einer Schaffnerin) gegen die machtausübende Musterung, der wir unterzogen wurden und der ein mehr oder weniger Widerspruch duldendes Platzzuweisen, robustes Durchseifen unserer von Wald und Feld verborsteten Kopfgestrüppe unter wie Teekannentüllen gebogenen Hähnen, schließlich, wir bekamen unsere Frisuren einfach verpaßt, das ungefragte Scheren folgte, rasche, vierschrötige Erledigung einer Dauerlieferung, im Gegensatz zum schmeichlerischen Umschwänzeln der Honoratioren, deren Häupter nicht wie unsere »Nischel« ins Waschbecken in den routiniert geprüften Strahl getunkt, sondern einfühlsam und servil, in Sichtweite der Autogramme von Grethe Weiser, Heinz Rühmann »alias Quax, der Bruchpilot«, Theo Lingen, unter den wohltemperierten Wassern von Dresden massiert wurden.
    Nehme ich eine der »i«-Puppen von Irmgard Bahmann zur Hand, hergestellt im VEB Künstlerpuppen, jede mit der unverwechselbaren Liebe zu einem Kind versehen, ist es mir, als kämen die Dezember zurück, in denen die Stadt wie in einen Eiskokon gehüllt im Dornröschenschlaf hing und die Ankündigung von »Ritschers Künstler-Mario-nettentheater« die Kinder des Viertels in jene Advents-Vorfreude versetzte, die sich aus der Wärme vieler schmückender, der Behaglichkeit zuträglicher Tätigkeiten speiste, bevor sie in den von Erzgebirgsfolklore, Pyramidendrehen, Lebkuchen- und Bratapfelduft durchwobenen Märchenschimmer des Heiligen Abends mündete. Herr Ritscher war ein klassischer Wandermarionettenspieler, stammte aus einer Puppenspielerdynastie und trug, so schien mir, noch die Erbschaft seiner über Land treckenden Vorfahren mit sich, die Himmel über niederschmetternd armseligen Dörfern, Bauernhände, die den schweren Planwagen mit der so kinderleichten Fracht im Matsch von Novembertagen aus Ackerfurchen deichselten. Er baute seine Bühne im Parkhotel auf und ließ, begleitet von seiner Mutter, die metergroßen Puppen, den Reifentänzer, den Gewichtheber, für uns lebendig werden. Das Puppenspiel hatte in Dresden eine lange Tradition, es gehörte zu Geburtstagsfesten und weihnachtlichen Krippenspielen wie die in Mänteln aufgeführten, häuslichen Theaterstücke zu den strengen Wintern; die Alchimistenküche des Doktor Faustus, die geschüttelten Betten der Frau Holle, Kasper, den Gretel zum Ergötzen der lieben Kinder dazu anstachelte, seine Holzklatsche drastisch über die Schädel der Obrigkeit zu ziehen, kopierten sich aus den Vorstellungen des Puppentheaters im

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