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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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wieder von der Komik der seltsamen Tatsache ergriffen ist, daß wir auf einer Kugel durch Sternnebel und Finsternis einer Glutriesin in immer enger geschnürten Kreisen zusausen, der weiß, daß uns die Erde ernährt und nicht der Supermarkt, daß für einen neuen Menschen zwei andere wenigstens für eine Sekunde zusammenpassen müssen – und der, indem er das Buddenbrooksche »Kurios, kurios!« kennt, seine gehütete, von Spott umzingelte Achtung den verstreuten, aber schon von einer einzigen Türkenbundlilie angezogenen Paradiesscherben der Erinnerung zuwendet.
    Ich gehe weiter, die Geschichten folgen mir. Sie sind wie jene Katzen, denen ich im Viertel begegnete und die nicht wegliefen; sie ließen sich streicheln und blickten mich so vertrauensvoll an, als wäre ich ihr eben gewählter Stellvertreter bei den Menschen. (Illusionen … wahrscheinlich roch meine Hand noch nach der Salami »Romantica« der Fleischerei Müller oder nach der berühmten Honigfeigenpastete der Fleischerei Vogelsang, für die Kater Chakamankabudibaba eines Tages durch ein geschlossenes Wintergartenfenster im Tausendaugenhaus sprang.) Aber Tage sind nicht homogen, sie bestehen aus Zeit-Archen, die womöglich nicht einmal zu einem gemeinsamen Hafen segeln, und Zeit-Ländern mit fremden Einsprengseln, wie Menschen, und so kommt es, daß ich gerade »jetzt« die Gischt aus Motorengeräuschen höre, das halbwache Geflirr von Bäumen, die in den kalten Tagen des Vorfrühlings sich an die warmen des Mai erinnern, die Stimmen, eine schüttere Brandung, die aufkommt und verlischt, wie es in einer Stadt an einem nicht mehr zufrierenden Fluß wohl sein muß. Das Vorüberspielen einer Lieferwagenmeinung, dies stämmige, amtliche Salbadern, das so-viel von der Wirklichkeit meldet, weil es scheinbar ganz und gar für sie bestimmt ist, ruft in mir sofort seine Vorgänger wach, die haptischeVerzauberung, wenn man an einem Vormittag in den Sommerferien den vollblütigen schwarzen Lack eines alten Wartburgs oder eines F9 (wohin sind eigentlich diese Fahrzeuge verschwunden? ich glaube nicht an die Allmacht und Empfindungslosigkeit der Schrotthändler) berührte, dann die schweißige, klare Handfläche auf die Flanke eines solchen Wagens legte, so daß, in der sonnenbestrohten Schwärze unterhalb einer Klinke (die mich an die des gutmütigen Kühlschranks meiner Großmutter denken ließ) eine zweite, die Kinderhand bis in die Scherenschnitt-Kontur ausgießende Schwärze erschien, ein leuchtendes, sich selbst völlig genügendes Klavierschwarz, das satter war als das der Zylinder, uneroberter als das der Schallplatten und schlackenloser als die Pechschicht in einer abgekühlten Teertonne auf einer morgendlichen Baustelle. An einem dieser Sommertage, die sich schon neigten und wie große schwerkräftige Zeiger zwischen den Ansprüchen von Arbeit, Nachhausekommen, Besorgungen, dem ganzen Kram, der wegzuräumen war, bevor man aufatmen konnte, und der Aderstruktur eines Ahornblatts in den Gegenblenden der beginnenden Ruhe, der Freiwilligkeiten gelassen stehenzubleiben schienen, öffnete ein Mann die Balkontür im ersten Stock des Lazaretts, ein Offizier vermutlich, denn er rückte sich einen Stuhl an die verrostete Brüstung. Das Zimmer ragte unter einem zugenagelten Ochsenauge an der Ecke zwischen Bautzner- und Stechgrundstraße vor und blickte auf die Schienen der Linie 11, das verblühte Haus Gäbler, die Rückfronten von Sanatoriumsvillen, in denen ebenfalls sowjetische Offiziere wohnten. Auf den Stuhl stellte er, ich sah ihn im Unterhemd und mit baumelnden Militärhosenträgern, ein Grammophon und legte Hans-Hendrik Wehdings Intermezzo zum »Goldenen Pavillon« auf, das im Sender Dresden lief, danach Albers’ »La Paloma«, dem das Femme-fatale-Timbre der Zarah Leander folgte, deren von Schlenkern und wildem Sentiment durchschabtes »… Wu-hunder gescheehn« einsam, nur von Zigarettenrauch begleitet in die Sommerdämmerung schallte, bis der Mann die Platte abrupt vom Grammophon nahm und gegen eine russische Volksweise tauschte, die wir später als »Blaues Tüchlein« von einem der Wachhaltenden am ehemaligen Haupteingang des Sanatoriums identifiziert bekommen würden.
    … »jetzt«, wo an der Haltestelle der 11 ein Angestellter von JC Decaux die Schaufensterfront hochklappt, um mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck und einer wie von selbst geschehenden Säuberlichkeit ein Werbeplakat gegen ein anderes auszuwechseln, so daß ich zum ersten Mal sehe, wie

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