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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn
Autoren: Colin Dexter
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rausrücken, aber wie Du siehst, bin ich ›ein Mann mit soliden wissenschaftlichen Grundlagen und beträchtlicher Lehrerfahrung im Realschul- und Oberschulbereich‹. Was will man mehr? Martha läßt herzlich grüßen, wir hoffen sehr, daß Du Dich Weihnachten mal wieder in Deinem alten Revier sehen läßt. Da wir ihren und meinen Eltern doch nicht gleichzeitig gerecht werden können, werden wir sie alle beide nicht besuchen und zu Hause bleiben. Übrigens hat sich unser alter Nörgelfritze um den Schulleiterposten der neuen Gesamtschule beworben. O tempora! O mores!
    In alter Frische Dein Brian.«
     
    Der Brief war mit schwarzem Kugelschreiber abgehakt, und Morse sah ihn sich einen Augenblick nachdenklich an. Hatte Quinn seinen Freund angerufen? War es vielleicht ein früherer Kollege? Und falls ja, wann hatte er ihn angerufen? Es konnte sich lohnen, der Sache nachzugehen.
    Doch es war Lewis, der ganz aus Versehen über den Stolperdraht fiel und die Mine auslöste, die den Fall hochgehen ließ. Als er gerade die letzte Ladung Akten wieder in den Schrank stopfte, fiel sein Blick auf einen zerknautschten Umschlag, der sich in der Gleitschiene des Schubfachs verhakt hatte. Er klaubte ihn heraus und holte ein Briefblatt hervor. »Ich kann Ihnen verraten, was sich hinter EMA verbirgt, Sir.« Morse nahm ihm ohne sonderliche Begeisterung den Brief ab. Es war eine vom 3. März datierte, sichtlich mit dem Zweifingersuchsystem getippte Mitteilung auf dem Briefkopf des Erziehungsministeriums Al-jamara.
     
    »Lieber George,
    herzliche Grüße an alle in Oxford. Schönen Dank für Dein Schreiben und für das Sommer-Prüfung-Päckchen.
    Melde- und Gebührenformulare sind angeblich bereit zum endgültigen Versand an den Verband für Freitag, den 20., oder allerspätestens, wie man mir sagt, den 21.
    Hier klappt’s jetzt besser, doch ist dem Chaos noch immer Tür und Tor geöffnet, wenn man nicht aufpaßt. Aber in zwei, drei Jahren werden wir’s Euch schon zeigen. Bitte sieh zu, daß Änderungen der Prüfungsordnung nicht sofort vorgenommen werden, das könnte das Projekt total vernichten.
    Schöne Grüße …«
     
    Das war alles – bis auf die unleserlich gekrakelte Unterschrift.
    Morse besah sich stirnrunzelnd den Umschlag, der an G. Bland, M. A., gerichtet und in dicken roten Druckbuchstaben als privat und vertraulich gekennzeichnet war. Aber dann erhellte sich seine Miene wieder, und er gab wortlos Lewis den Brief zurück. Es wurde Zeit, daß sie hier Schluß machten. Müßig klappte er noch einmal den Schreibtischkalender auf und besah sich das Kalendarium auf der inneren Umschlagseite. Und plötzlich stockte ihm das Blut in den Adern. Seinem leisen, dringlichen Ton hörte Lewis sogleich die innere Erregung an.
    »Wann ist der Umschlag abgestempelt, Lewis?«
    »Am 3. März.«
    »Dieses Jahres?«
    Lewis sah noch einmal hin. »Ja, Sir.«
    »Schau mal einer an.«
    »Was ist denn?«
    »Freitag, der 20., steht in dem Brief, Lewis. Aber welcher Freitag, der 20.?« Er sah wieder auf das Kalendarium. »Nicht März. Nicht April. Nicht Mai, nicht Juni. Nicht Juli. Und die Bemerkung muß sich auf die Meldeformulare für die Prüfungen vom letzten Sommer beziehen.«
    »Man kann sich ja auch mal im Datum irren, Sir, vielleicht hat jemand das Kalendarium vom letzten Jahr –«
    Aber Morse hörte nicht hin. Er griff noch einmal nach dem Brief und konzentrierte sich minutenlang stumm darauf. Dann nickte er langsam vor sich hin und lächelte ein wenig. »Gratuliere, Lewis, Sie haben es wieder mal geschafft.«
    »Ach nee …«
    »Ich will nicht behaupten, daß wir der Identität des Mörders von Nicholas Quinn sehr viel nähergekommen sind. Aber warum er ermordet worden ist, Lewis, wissen wir inzwischen. Das müßte schon ein ganz dummer Zufall sein …«
    »Ich fürchte, das müssen Sie mir schon ein bißchen genauer erklären, Sir.«
    »Schauen Sie sich den Brief noch einmal an, Lewis. Können Sie mir eines verraten: Warum ist eine scheinbar so triviale Epistel als privat und vertraulich gekennzeichnet?«
    Lewis schüttelte den Kopf. »Stimmt schon, groß was Wichtiges steht nicht drin, aber –«
    »Es steht sogar etwas sehr Wichtiges drin, alter Freund“ das ist es ja gerade. Wir lesen von links nach rechts, stimmt’s? Aber manche dieser komischen Ausländer sollen ja von oben nach unten lesen …«
    Lewis nahm sich den Brief noch einmal vor. Er machte große Augen. »Sie sind doch wahrhaftig ein schlauer Fuchs, Sir.«
    »Na ja,
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