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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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auch.«
    »Nein, ich habe meinen nicht angerührt.«
    Lewis stellte langsam sein inzwischen halbgeleertes Glas ab. Allmählich wurde ihm der Zweck der Übung klar. »Und auf der Flasche und auf dem Glas wären meine Fingerabdrücke gewesen …«
    »Und wenn ich beides vor unserem Umtrunk sorgsam abgewischt hätte, hätte ich nur meinen Sherry in den Ausguß zu schütten und das Glas abzuwaschen brauchen – und die Sache wäre gelaufen.«
    »Aber erst mußte jemand in Quinns Wohnung kommen, um den Sherry zu vergiften.«
    »Nicht unbedingt. Vielleicht hat jemand Quinn den Sherry geschenkt.«
    »Kein Mensch verschenkt offene Flaschen. Eine einmal geöffnete Sherryflasche wieder zu verschließen muß eine elende Plackerei sein, ich glaube, das geht gar nicht.«
    »Vielleicht war es auch gar nicht nötig«, sagte Morse nachdenklich. Einen Augenblick stand er da, ohne sich zu rühren, und sah blicklos in die Nebel der Vergangenheit, wo eine ferne Erinnerung an der Schwelle seines Bewußtseins zauderte, aber nicht näher treten mochte. Da war etwas mit einer hübschen jungen Frau gewesen … aber die Gestalt verschmolz mit anderen jungen Frauen, von denen es früher so viele gegeben hatte. Es würde ihm schon wieder einfallen, man mußte nur an etwas anderes denken. Er leerte sein Glas auf einen Zug und schenkte sich nach. »Schmeckt ein bißchen wie Limo, nicht?«
    »Wie geht es jetzt weiter, Sir?«
    »Ich glaube, wir müssen uns etwas vorsehen. Kann sein, daß wir da in eine große Sache hineingeraten sind, und gerade deshalb dürfen wir nichts übereilen. Ich möchte wissen, was die Leute in der Geschäftsstelle getrieben haben, aber ich möchte nicht, daß sie es merken.«
    »Wäre es nicht besser –«
    »Nein. Es wäre auch nicht fair.«
    Lewis geriet langsam ins Schleudern. »Sie glauben, daß einer der vier Quinn umgebracht hat?«
    »Was glauben Sie?«
    »Ich weiß nicht, Sir. Aber wenn Sie denen schon im voraus einen Tip geben …«
    »Ja?«
    »Die bereiten sich doch vor, erfinden irgendwas.«
    »Genau darauf warte ich ja.«
    »Aber wenn einer von ihnen Quinn ermordet hätte …«
    »Wäre er natürlich mit einem Alibi bei der Hand, meinen Sie?«
    »Ja.«
    Morse schwieg einen Moment, dann wechselte er unvermittelt das Thema. »Haben Sie mich am vergangenen Freitag gesehen, Lewis?«
    Lewis machte den Mund auf und machte ihn wieder zu.
    »Lassen Sie’s raus. Wir arbeiten schließlich im gleichen Haus.«
    Lewis gab sich die größte Mühe, aber es wollte ihm einfach nicht einfallen. Der Freitag lag so lange zurück. Was hatte er am Freitag gemacht? Hatte er Morse gesehen?
    »Begreifen Sie jetzt, was ich meine, Lewis? Gar nicht so einfach, wie? Wir sollten ihnen eine Chance geben.«
    »Aber wie ich schon sagte, Sir – Quinns Mörder hat sich für Freitag bestimmt was Gutes ausgedacht.«
    »Genau.«
    Lewis gab sich geschlagen. Es gab vieles an seinem Chef, was er nicht verstand. Die Frage, die Morse ihm stellte, ehe er die Haustür hinter ihnen schloß, machte die Sache nicht besser. »Und wieso sind Sie so fest davon überzeugt, daß Quinn am Freitag ermordet worden ist?«
     
    Margaret Freeman, eine schmale, ziemlich unscheinbare, ledige junge Frau, war seit etwas über drei Jahren für den Verband tätig. Sie war Mr. Blands Sekretärin gewesen und wurde daher automatisch an Mr. Quinn weitergereicht. In der vergangenen Nacht hatte sie kaum geschlafen, und erst, als es schon dämmerte, war es ihr gelungen, ihres Grauens einigermaßen Herr zu werden. Aber Morse (der sich einbildete, für derlei Dinge Verständnis zu haben) wunderte sich trotzdem, als sie nach nur wenigen Minuten behutsamer Befragung zusammenbrach und sich in Tränen auflöste. Ja, am Freitag vormittag hatte sie Quinn ganz bestimmt gesehen. Er hatte ihr gegen Viertel vor elf einen ganzen Stapel Briefe diktiert, und damit war sie bis in den späten Nachmittag hinein beschäftigt gewesen. Die Briefe hatte sie dann in Quinns Zimmer gebracht und in den Eingangskorb gelegt. Am Freitag nachmittag hatte sie ihn nicht gesehen, hatte aber den Eindruck gehabt, er sei im Haus gewesen, denn sie konnte sich ziemlich genau daran erinnern, daß Quinns grüner Anorak über einem der Sessel gelegen hatte. Ach ja, richtig, da war noch der Zettel für sie gewesen, mit ihren Initialen – M. F. – gekennzeichnet und einer kurzen Mitteilung (»Dr. Bartlett verlangt, daß man immer hinterläßt, wo man ist, Sir.«), aber sie konnte sich nicht mehr genau besinnen …

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