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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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hier im Büro verbracht?«
    »Ja.«
    »Bestimmt?«
    Ogleby sah ihn ruhig an. »Ganz bestimmt.«
    Morse zögerte. Sollte er den Stier gleich bei den Hörnern nehmen oder sich noch einen Aufschub gönnen?
    »Das ist mir jetzt fast ein bißchen peinlich, Sir. Von – äh – anderer Seite hörte ich, am Freitag nachmittag sei niemand im Büro gewesen.«
    »Dann muß Ihr Informant falsch unterrichtet sein.«
    »Sie haben Ihr Büro nicht mal kurz verlassen? Sind vielleicht nach oben gegangen, zum Büroleiter oder so?«
    »Das Haus habe ich jedenfalls nicht verlassen. Möglich, daß ich mal kurz oben war, aber ich glaube es eigentlich nicht. Und dann wären es höchstens ein paar Minuten gewesen.«
    »Was würden Sie dann sagen, wenn jemand behauptete, zwischen Viertel nach vier und Viertel vor fünf am Freitag nachmittag sei niemand im Haus gewesen?«
    »Ich würde sagen, daß dieser Jemand sich irrt, Inspector.«
    »Aber wenn er auf seinem Standpunkt beharrt?«
    »Dann hätte er gelogen.« Ogleby lächelte freundlich und machte sacht die Tür hinter sich zu.
    Oder du hättest gelogen, dachte Morse, als er allein war. Und du weißt nicht, mein lieber Freund, daß es sogar zwei Jemande gibt, die sagen, daß du nicht im Haus warst. Und wenn das stimmt – wo, zum Teufel, warst du dann?
     

12
     
    Der Polizeiwagen, weiß mit einem breiten hellblauen Querstreifen, stand am Gehsteig vor dem gepflegten Bungalow in Old Marston. Constable Dickson klopfte; eine flottgekleidete, attraktive junge Frau öffnete.
    »Miss Height?«
    »Ja.«
    »Ist Ihre Tochter zu Hause?«
    Miss Height verzog das Gesicht zu einem unverkennbaren Teenagergrinsen. »Seien Sie nicht albern. Ich bin doch erst sechzehn.«
    Dickson griente einfältig und folgte der Einladung der jungen Dame, näher zu treten.
    »Es ist wegen Mr. Quinn, nicht? Unheimlich aufregend. Er hat im gleichen Büro wie Mummy gearbeitet.«
    »Kennen Sie ihn persönlich, Miss?«
    »Leider nein.«
    »Er war nie hier?«
    Sie kicherte. »Da müßte ihn Mummy höchstens eingeschleust haben, wenn ich in der Schule gesessen und geschuftet habe.«
    »Aber das würde sie doch nicht tun, oder?«
    Sie feixte. »Sie kennen Mummy nicht.«
    »Warum sind Sie heute eigentlich nicht in der Schule?«
    »Ich mach ein paar Fächer für die O-Levels noch mal. Im Sommer hab ich nämlich nicht besonders abgeschnitten.«
    »Welche Fächer sind das?«
    »Humanbiologie, Französisch und Mathe. In Mathe ist es ziemlich hoffnungslos. Heute haben wir die zweite Arbeit geschrieben. Ganz schön stinkig. Wollen Sie mal sehen?«
    »Jetzt nicht, schönen Dank. Ich – äh – ich hab mir nur überlegt, wieso Sie nicht in der Schule sind.«
    »Außer zu den Arbeiten brauchen wir nicht hin. Toll, nicht? Heut hab ich schon seit mittags frei.«
    »Kommen Sie immer nach Hause? Wenn Sie schulfrei haben, meine ich.«
    »Ja, was sonst?«
    »Dann pauken Sie wahrscheinlich?«
    »Ja, manchmal. Aber meist setz ich mich vor den Fernseher. Kinderprogramm. Gar nicht so blöd. Manchmal hab ich den Eindruck, daß ich noch kein bißchen erwachsen bin.«
    Dickson verzichtete wohlweislich auf eine Vertiefung dieses Themas. »Sie waren also in der letzten Zeit meist zu Hause?«
    »Nachmittags jedenfalls.« Sie sah ihn harmlos an. »Morgen nachmittag bin ich auch wieder da.«
    Dickson hüstelte verlegen. Er hatte brav seine Hausaufgaben gemacht, wie Morse es ihm aufgetragen hatte. »Diese Kinderfilme schau ich mir auch manchmal an. Neulich war einer über einen Hund. Am letzten Freitag, glaube ich.«
    »Ja, den hab ich auch gesehen. Ich hab fast die ganze Zeit Rotz und Wasser geheult. Mußten Sie auch heulen?«
    »War schon ganz schön rührselig, das stimmt. Aber jetzt will ich Sie nicht vom Pauken abhalten. Eigentlich wollte ich ja Ihre Mutter sprechen.«
    »Aber haben Sie nicht vorhin gesagt, daß Sie mit mir sprechen wollten?«
    »Das hab ich wohl durcheinandergebracht. Ich hab gedacht …«
    Er gab auf und erhob sich. Alles in allem, fand er, hatte er seine Sache gar nicht übel gemacht, und der Chief Inspector würde wohl mit ihm zufrieden sein.
     
    Abends um sieben saß Morse allein in seinem Büro. Eine Neonleuchtröhre tauchte den Raum in ein hartes, unfreundliches Licht, und eine einzige gelbe Straßenlaterne auf dem Hof vor dem vorhanglosen Fenster vertiefte nur die Schwärze der Nacht. Manchmal – besonders in solchen Stunden – wünschte Morse sich ein Heim und eine Frau, die die angewärmten Hausschuhe bereitgestellt hatte.

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