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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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In solchen Stunden wirkte auch ein Mord besonders brutal und erschreckend. Dickson hatte über seinen Besuch bei Sally Height berichtet, und die Umrisse an den hintersten Wänden der dunklen Höhle nahmen allmählich feste Gestalt an. Monica hatte ihn belogen. Martin hatte ihn belogen. Es war mehr als wahrscheinlich, daß Ogleby ihn belogen hatte. Hatte auch Bartlett gelogen? Der kleine, runde Bartlett, unerschütterlich, präzis wie ein Metronom … Wenn er Nicholas Quinn ermordet hatte …
    Eine halbe Stunde ließ er seine Gedanken frei herumlaufen wie geile Rammler in orgiastischem Liebesspiel, dann trat er auf die Bremse. Er brauchte noch mehr Fakten. Und die Fakten lagen vor ihm – in der dunkelblauen Plastiktüte mit den Sachen, die sich in Quinns Taschen und in Quinns grünem Anorak gefunden und die auf Lewis’ Liste gestanden hatten. Morse räumte den Schreibtisch ab und machte sich an die Arbeit. Quinns Taschen hatten wenig Überraschendes oder Aufschlußreiches enthalten: eine Brieftasche, ein schmutziges Taschentuch, eine halbe Rolle Pfefferminzdrops, einen Taschenkalender (ohne eine einzige Eintragung), 43½ Pence, einen rosa Kamm, eine halbe Kinokarte, zwei schwarze Kugelschreiber, einen abgegriffenen Rabattmarkenstreifen und einen Bankauszug der Lloyds Bank (Filiale Summertown), der auf dem Girokonto ein Guthaben in Höhe von 114,40 Pfund auswies. Das war’s. Morse legte die einzelnen Gegenstände übersichtlich vor sich hin, betrachtete sie minutenlang, dann nahm er sich einen Zettel und schrieb sie auf. Hm, sehr merkwürdig. Schon vor ein paar Minuten war ihm der Gedanke durch den Kopf gegangen … Dann griff er nach dem Anorak und holte aus der Seitentasche die nächste Kollektion: ein zweites schmutziges Taschentuch, Wagenschlüssel, ein schwarzes Schlüsseletui, zwei uralte Lotterielose, 23 Pence, einen leeren weißen Umschlag, an Quinn adressiert. Auf der Klappe stand mit Bleistift »Blech!« Ein gefundenes Fressen für seine Rammler, aber er beschloß, ihnen keine Chance zu geben. Auch diese Gegenstände listete er auf, dann lehnte er sich zurück. Ja, es war so, wie er gedacht hatte, aber um heute abend noch einmal in das verlassene Haus in der Pinewood Close zu fahren, war es zu spät – und zu gruselig.
    Nach der allgemeinen Übersicht machte sich Morse systematisch über die einzelnen Gegenstände her. Zuerst die Brieftasche: Führerschein, Mitgliedskarte des Automobilclubs, Scheckkarte von Lloyds Bank, altes Rezept für Otosporon, Gehaltszettel des Vormonats, blaue Anmeldekarte für die Poliklinik im Radcliffe, eine Fünf-Pfund-Note, drei Ein-Pfund-Noten, eine Antwortkarte des Verbandes für Auslandsprüfungen, auf der zwei Telefonnummern standen. Morse wählte die erste. Monoton schlug das Freizeichen an sein Ohr. Er versuchte es mit der zweiten.
    »Hier Monica Height.«
    Morse legte rasch wieder auf, was ungehörig war – aber ihm schwante, daß Monica zur Zeit keine große Freude an seinem Anruf hätte. Ebensowenig, wie der Besuch von Constable Dickson sie freuen würde. Er mußte sich wohl doch ein bißchen genauer auf die Beziehungen einlassen, die innerhalb der Geschäftsstelle gelaufen waren.
    Als nächstes Fundstück nahm er sich die rechte Hälfte einer gelben Kinokarte vor. Am oberen Rand standen die Zahlen 102, darunter »Parkett links«, untereinander am rechten Rand die Zahlenreihe 93 550. Die Rückseite war mit einem Pentagramm bedruckt. Um welches Kino es sich handelte, mußte sich ja irgendwie feststellen lassen. Am besten sagte er Lewis … Aber dann war der Groschen schon gefallen. Was am oberen Rand stand, war gar keine Zahl. Zwischen der Null und der Zwei klaffte eine kaum wahrnehmbare Lücke, und der Name des Lichtspielhauses sprang Morse jetzt förmlich ins Gesicht. STUDIO 2 in der Walton Street, er kannte das Kino. Morse hatte die Oxford Mail von gestern mit, die kurz über den Mord an Quinn berichtet hatte. Nach kurzem Blättern fand er die immer am Dienstag erscheinenden Besprechungen des Unterhaltungsangebots für die Oxforder Bevölkerung. Ja, da war es:
    »Es ist durchaus einleuchtend, warum Die Nymphomanin in STUDIO 2 um eine weitere Woche verlängert worden ist. Die afficionados kamen in Strömen, um die schwedische Sexnudel Inga Nielsson zu sehen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit pflichtschuldigst ihren Vierzig-Zoll-Busen entblößt. Strömt nur weiter.«
    Morse las die Kritik mit gemischten Gefühlen. Offenbar hatte sich der Rezensent noch nicht

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