Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn
Sir.«
»Hier Morse.«
»Könnte ich Sie wohl kurz sprechen, Inspector? Es ist – äh – ziemlich wichtig. Könnten Sie gleich mal vorbeikommen?«
»Bin schon unterwegs.«
Lewis und Monica hatten die Worte aus dem Hörer mitbekommen. Morse entschuldigte sich ohne weitere Erklärung.
In Monicas Büro fackelte er nicht lange. Die dicke Lammfelljacke im Wandschrank gab nicht viel her. Jetzt die Handtasche. Wenn überhaupt, dann würde er wohl hier fündig werden. Make-up, Scheckbuch, Kalender, Kugelschreiber, Kamm, kleine Flasche Parfüm, ein Paar Ohrringe, Programm für eine bevorstehende Aufführung des Messias, Schachtel Dunhill-Zigaretten, Streichhölzer, Börse. Mit nicht ganz sicherer Hand machte er sie auf und kramte darin herum. Kleingeld, Schlüssel, Briefmarken – und da war es, wahrhaftig, er hatte recht gehabt. Er atmete schnell und geräuschvoll, während er die Handtasche zumachte, sorgfältig an ihren Platz zurückstellte, das Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloß. Auf dem Gang blieb er stehen. Die Folgen seiner Entdeckung waren ernst. Er war sich zwar ziemlich sicher gewesen, daß er mit einigem Glück etwas finden würde, aber irgendwas stimmte hier nicht, irgendwo war ein falscher Ton. So etwas war ihm noch nie passiert. Doch das würde sich bestimmt schnell klären.
Er war nicht länger als zwei oder drei Minuten weg gewesen, und Lewis fiel ein Stein vom Herzen, als er wieder hereinkam. Morse setzte sich auf eine Schreibtischecke und sah Monica Height an. Es passierte ihm manchmal (zugegebenermaßen selten), daß die Spezies Frau jeden Reiz für ihn verlor. So ging es ihm jetzt. Ihr Anblick ließ ihn so kalt, als habe er ein Marmorstandbild vor sich. Morse hatte sich sagen lassen, daß er mit solchen Erfahrungen nicht allein stand. Eine Art Trockenzeit hatten sie es genannt.
Er holte tief Luft. »Warum haben Sie mich wegen Freitag nachmittag angelogen?«
Monica wurde dunkelrot, war aber nicht besonders überrascht.
»Darauf hat Sally Sie gebracht, nicht? Mir war natürlich klar, was Ihr Mitarbeiter von ihr wollte.«
»Ich warte.«
»Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil es sich weniger – weniger schmutzig anhörte, als ich sagte, wir seien zu mir gegangen.«
»Weniger schmutzig als was?«
»Sie wissen schon. Als mit dem Auto herumzufahren und auf Rastplätzen zu halten und zu hoffen, daß keiner kommt.«
»Würde Mr. Martin Ihre Aussage bestätigen?«
»Ja, wenn Sie ihm erklären, warum –«
»Sie wollen mir doch wohl nicht weismachen, daß Sie ihn noch nicht vorbereitet haben?« Morses Tonfall wurde zunehmend strenger, und Monica lief wieder dunkelrot an.
»Glauben Sie nicht, daß wir ihn fragen müßten?«
»Nein. Der läßt sich von Ihnen um den Finger wickeln, das sieht doch ein Blinder. Ihre Lügengeschichten interessieren mich nicht. Ich verlange die Wahrheit. Es geht hier um einen Mord und nicht darum, daß Sie irgendwann mal Ihren Wagen ins Parkverbot gestellt haben.«
»Hören Sie, Inspector, ich kann Ihnen nur sagen –«
»Sie können mir sagen, wie es sich wirklich zugetragen hat.«
»Sie sind Ihrer Sache offenbar sehr sicher.«
»Allerdings. Können Sie mir verraten, was das ist?« Er hieb mit der Faust wütend auf die Schreibtischplatte. Die abgerissene Hälfte jener Kinokarte kam zum Vorschein. Am oberen Rand standen die Buchstaben IO, dahinter die Ziffer 2. Darunter stand: Parkett links, und am rechten Rand waren senkrecht die Ziffern 93 556 angeordnet.
Monica sah wie gebannt auf die Kinokarte herab.
»Na?«
»Dann haben Sie die kleine Komödie am Telefon mit Dr. Bartlett eingefädelt?«
»Ich hab schon Dümmeres in meinem Leben gemacht.«
Unvermittelt, unerklärlich schlug seine Stimmung um. Er sah sie an und sagte freundlicher: »Sie wissen doch, daß es früher oder später herauskommt. Bitte sagen Sie mir die Wahrheit.«
Monica seufzte tief. »Könnten Sie mir wohl eine Zigarette beschaffen, Inspector? Ich habe welche in der Handtasche – aber das wissen Sie ja.«
Und dann bestätigte sie, was Morse vermutet hatte. Sally war an diesem Nachmittag nicht in der Schule gewesen, zu Monica hatten sie deshalb nicht gehen können. Eigentlich, sagte sie, war sie auch nicht so scharf darauf gewesen. Natürlich war sie in gleichem Maße schuldig wie Donald, aber sie hatte sich in letzter Zeit wirklich sehr bemüht, die hoffnungslose und riskante Beziehung zu beenden. Donald hatte schließlich den Kinobesuch vorgeschlagen, und sie hatte
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