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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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er war sehr schwerhörig gewesen, aber wenn man es nicht wußte, merkte man das kaum.
    Es klingelte. Neun Uhr – das Haus wurde geschlossen.
    »Konnte er das hören?« fragte Morse.
    Doch die Lehrerin hatte sich abgewandt, um etwas ins Klassenbuch zu schreiben. Die Glocke ging noch einmal.
    »Hätte Quinn das hören können?« fragte Morse.
    Aber sie nahm noch immer keine Notiz von ihm, und erst jetzt ging Morse ein Licht auf. Als sie endlich aufsah, wiederholte er seine Frage. »Konnte Quinn die Glocke hören?«
    »Konnte Quinn … Wie meinten Sie?«
    »Konnte Quinn die Glocke hören?« wiederholte Morse mit übertrieben deutlichen Mundbewegungen.
    »Ach so, die Glocke … Läutet es? Nein, das hören wir leider alle nicht.«
    Am Donnerstag war Gästeabend im Lonsdale College, aber nach ein, zwei Sherries als Aperitif verzog der Präsident des Verbandes für Auslandsprüfungen sich wieder in seine Räume. Es paßte ihm gar nicht, seinen Terminplan für Freitag vormittag umwerfen zu müssen, denn eine der wenigen Obliegenheiten, an denen er wirklich Spaß hatte, war das Gespräch mit Studienbewerbern. Während er über den Hof ging, überlegte er mißgelaunt, wie lange die Sitzung wohl dauern würde und warum Tom Bartlett es so dringend gemacht hatte. Die Sache wurde ihm sowieso allmählich zuviel. Er war einfach zu alt für so einen Posten und freute sich auf die Pensionierung in einem Jahr. Eins stand fest – Vorfälle wie in den letzten vierzehn Tagen bekam er einfach nicht mehr in den Griff.
    Er blätterte die Unterlagen auf seinem Schreibtisch durch und las die Lobeshymnen von Schulleitern und Schulleiterinnen, die sich verzweifelt bemühten, mit ihren Schulen auf der Tabelle der Oxbridge-Liga ein paar Plätze weiterzukommen. Offenbar hatten die würdigen Damen und Herren noch nicht erkannt, daß sie mit diesem Geschwätz eher das Gegenteil erreichten. Da war der Bericht einer Direktorin über eine Schülerin, die sich um einen der wenigen in Lonsdale vorgesehenen Studienplätze für Frauen bewarb. Selbstredend war das Mädchen die beste Schülerin ihres Jahrgangs und hatte einen ganzen Schrank voller Preise gewonnen. Unter »Persönlichkeit« hieß es: »Nicht unattraktiv und sehr lebhaft, mit einem eigenwilligen Sinn für Humor und treffsicherem Witz.« Der Präsident lächelte säuerlich. Was für ein Satz! Im Lauf der Jahre hatte er sich eine eigene Synonymliste zusammengestellt.
     
    »nicht unattraktiv« ausgesprochene Schreckschraube
    »lebhaft« meist angeheitert
    »eigenwillig« überspannt
    »treffsicher« absolut ruppig
     
    Aber vielleicht war sie gar nicht so übel. Leider würde er sie nun nicht zu Gesicht bekommen, und daran war nur dieser blödsinnige Verband schuld. Er hätte gern wieder einmal seine Theorie getestet. Nur zu oft versuchten sich die Leute ganz anders zu geben, als sie in Wirklichkeit waren – was ja auch keine Schwierigkeit ist. Ein lächelndes Gesicht, ein Herz aus Stein. Auch das Gegenteil war denkbar. Ein steinernes Gesicht, und … Eine unbestimmte Erinnerung regte sich. Irgendwas in der Richtung hatte doch Chief Inspector Morse gesagt? Aber es wollte ihm nicht einfallen. Kein Beinbruch, so wichtig konnte es nicht gewesen sein.
     
    Um acht rief Mrs. Martin bei Bartlett an. Wußte er vielleicht, wo Donald steckte? Hatte er eine Sitzung? Ja, gewiß, manchmal arbeitete er noch lange im Büro, aber so spät war es noch nie geworden. Bartlett beruhigte sie, so gut es gehen wollte, und versprach zurückzurufen. Die Sache würde sich bestimmt als ganz harmlos herausstellen.
    »Was ist, Tom?« Mrs. Bartlett war in die Diele gekommen und sah ihn besorgt an. Er legte sanft die Hand auf die ihre und lächelte müde. »Wie oft soll ich es dir noch sagen? Hör meine Telefongespräche nicht mit. Du hast genug eigene –«
    »Das tu ich nie, Tom, aber –«
    »Schon gut. Es ist nicht dein, sondern mein Problem. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Von nichts kommt nichts, wie es so schön heißt.«
    Mrs. Bartlett legte liebevoll einen Arm um ihn. »Ich weiß nicht, was sie dir zahlen, und ich will es auch gar nicht wissen. Ich finde, du wärst selbst mit einer Million nicht überbezahlt. Aber –«
    Bartlett spürte, daß sie sich Sorgen machte. »Ich weiß. Man hat den Eindruck, daß die Welt plötzlich verrückt geworden ist. Das war Martins Frau, Er ist noch nicht zu Hause.«
    »Ach, Tom …«
    »Immer mit der Ruhe. Nur keine voreiligen Schlüsse.«
    »Du glaubst doch nicht

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