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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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vollkommen. Bedenken Sie, daß Mrs. Evans –«
    »Ja, soweit ist mir das jetzt klar. Nur bei der Sache mit STUDIO 2 blicke ich nach wie vor nicht durch.«
    »Kein Wunder – bei all den Lügengeschichten, die uns da aufgetischt wurden. Aber ich will Ihnen ein, zwei Tips geben. Martin und Monica hatten sich entschlossen, am Freitag nachmittag ins Kino zu gehen, und versuchten dann erstaunlicherweise, von diesem guten auf ein oberfaules Alibi umzuschwenken. Was mag dahinterstecken, Lewis? Als einzige einigermaßen einleuchtende Antwort fiel mir ein, daß sie etwas gesehen hatten, worüber sie nicht sprechen wollten. Ich glaube, daß Monica zumindest in diesem Punkt bereit war, mir reinen Wein einzuschenken. Ich fragte sie, ob sie beim Hineinkommen jemanden gesehen habe, was sie verneinte.« Morse lächelte ein wenig. »Begreifen Sie jetzt?«
    »Nein.«
    »Nicht aufgeben, Lewis. Halten wir fest: Martin und Monica sind geblieben, um sich den Film anzusehen. Kapiert? Was immer die beiden – oder einen von ihnen – verunsichert hatte, aus dem Kino getrieben hat es sie nicht. Na? Dämmert es allmählich?«
    Lewis war ratloser denn je, aber seine Neugier ließ ihn nicht ruhen. »Und was war mit Ogleby?«
    »Jetzt kommen wir zum springenden Punkt, Lewis. Ogleby hat mich angeschwindelt. Er hat mir ein oder zwei Lügen erster Güte aufgetischt. Aber im wesentlichen entsprach seine Aussage der Wahrheit. Sie waren ja dabei, als ich ihn vernommen habe, Lewis, und brauchen sich nur Ihre Notizen noch mal anzusehen. Er hat ein paar sehr interessante Bemerkungen gemacht. Zum Beispiel, daß er an dem bewußten Freitagnachmittag im Büro war.«
    »Und Sie glauben, er war wirklich da?«
    »Ich weiß es. Er mußte einfach da sein, verstehen Sie?«
    »Ah ja«, sagte Lewis und verstand nur Bahnhof. »Dann war er wohl auch im STUDIO 2?«
    Morse nickte. »Ja, später. Und denken Sie daran, daß er sorgsam eine Kinokarte abgezeichnet hat, die ihm nicht gehörte. Die Karte, die wir in Quinns Tasche fanden. Kleine Quizfrage, Lewis: Wann und warum hat Ogleby das getan?«
    »Ich weiß es nicht, Sir. Allmählich komme ich total ins Schleudern.«
    Morse stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Dabei ist es im Grunde ganz einfach, Lewis. Überlegen Sie mal – warum hat er die Kinokarte nicht einfach an sich genommen? Er muß sie gesehen, muß sie in der Hand gehalten haben. Da gibt es doch nur eins.«
    Lewis nickte hoffnungsvoll, und zu seiner großen Erleichterung fuhr Morse fort:
    »Ganz recht. Ogleby hatte die Kinokarte gar nicht finden sollen, aber er hat sie gefunden, und er wußte, daß sie aus einem ganz bestimmten Grund an der Stelle lag, wo er sie entdeckt hat. Und er wußte, daß er sie dort nicht wegnehmen konnte.«
    Das Telefon läutete, Morse sagte, er werde gleich dort sein.
    »Kommen Sie mit, Lewis. Sein Anwalt ist da.« Während sie zu den Haftzellen gingen, erkundigte sich Morse bei Lewis, ob er wüßte, wo die Langerhans-Inseln lägen.
    »Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ostsee?«
    »Falsch. Pankreas – falls Ihnen das was sagt.«
    »Doch. Der Pankreas ist eine große Drüse, die in den Zwölffingerdarm mündet.«
    Morse sah seinen Mitarbeiter anerkennend an. Eins rauf für Lewis.
     

29
     
    Als Morse sich die Schüler betrachtete, die am Donnerstag abend mit ihren privaten oder Krankenkassen-Hörhilfen beim Unterricht saßen, dachte er daran, daß in den vergangenen Wochen Quinn unter ihnen gesessen und an ihren Geheimnissen und lautlosen Manifestationen teilgehabt hatte. Acht waren es, die sich vor der Lehrerin aufgereiht hatten, und Morse kam es vor, als sähe er einen Fernseher mit abgestelltem Ton. Die Lehrerin sprach, denn ihre Lippen bewegten sich, und sie machte die beim Sprechen üblichen Bewegungen, aber kein Laut war zu hören. Als es Morse gelungen war, sich von dem jähen Verdacht zu befreien, er sei plötzlich taub geworden, beobachtete er die Lippen der Lehrerin genau und versuchte die Worte zu erkennen. Ab und zu meldete sich einer der Schüler und stellte eine lautlose Frage, und dann schrieb die Lehrerin ein Wort an die Tafel.
    Häufig handelte es sich bei den Stolpersteinen um Worte, die mit P, B oder M anfingen, gelegentlich auch mit T, D oder N. Lippenlesen war offenbar eine hohe Kunst.
    Am Ende der Stunde bedankte sich Morse bei der Lehrerin, die ihm diese Gastrolle ermöglicht hatte, und erwähnte Quinn. Er war ihr bester Schüler gewesen, sie waren alle tief betroffen von seinem Tod. Ja,

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