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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Ogleby mich angelogen hat, mich anlügen mußte. Er hat behauptet, er sei gegen halb fünf im Büro gewesen. Hingegen schwören nicht nur Mr. Roope, sondern auch Mr. Noakes, der Hausmeister, Stein und Bein, er sei nicht dagewesen. Merkwürdig, nicht wahr? Ogleby hat mich in dem einen Punkt belogen, der seine Schuld zu beweisen schien. Und warum? Warum hat er behauptet, er sei den ganzen Nachmittag im Haus gewesen? Warum hat er sich selbst die Schlinge um den Hals gelegt? Keine leichte Frage, zugegeben. Aber es gibt eine Antwort, eine sehr simple Antwort. Ogleby hat gar nicht gelogen. An dieser Stelle jedenfalls hat er die Wahrheit gesagt. Er war tatsächlich hier, auch wenn Roope und Noakes ihn nicht gesehen haben. Und als ich seine Aussage noch einmal durchlas, fragte ich mich, ob die eine oder andere Bemerkung, die ich zunächst für eine Lüge gehalten hatte, nicht vielleicht doch die Wahrheit gewesen war. Allmählich wurde mir klar, was sich an jenem Freitag nachmittag abgespielt hatte, wurde mir klar, daß Ogleby den Mord an Nicholas Quinn nicht begangen hatte. Weil Ogleby am Freitag, dem 21. November, nachmittags im Büro gewesen war, wußte er auch, wer Quinn umgebracht hatte. Und weil er das wußte, wurde er selbst ermordet. Warum Ogleby mit seinem Verdacht, der fast eine Gewißheit war, nicht zu mir kam, werde ich nie mit Bestimmtheit wissen. Man kann es vermuten, aber … Jedenfalls können wir froh sein, daß der Mörder verhaftet worden und in Polizeigewahrsam ist. Er hat ein rückhaltloses Geständnis abgelegt.« Morse deutete mit dramatischer Geste auf den leeren Stuhl. »Dies ist sein Stammplatz, nicht wahr? Ja, meine Damen und Herren, es handelt sich um Ihren Mitarbeiter Christopher Roope.«
    Lautes Stimmengewirr erhob sich, und Mrs. Seth weinte lautlos vor sich hin. Doch noch ehe die erste Aufregung sich gelegt hatte, kam es zu einem zweiten dramatischen Höhepunkt. Nach einer geflüsterten Beratung am Kopf des Vorstandstisches bat der Vizepräsident ums Wort, und Morse setzte sich und malte Schnörkel auf die vor ihm liegende Schreibunterlage.
    »Mit Erlaubnis des Chief Inspector möchte ich auf einen Punkt zurückkommen. Habe ich recht verstanden, daß der Mörder Quinns sowohl am Vormittag als auch am späten Nachmittag im Haus gewesen sein mußte?«
    »Ganz recht, Sir. Ich möchte nicht alle Einzelheiten des Falles aufrollen. Aber Quinn wurde am Freitag, dem 21. November, gegen zwölf Uhr mittags – nein, ich will ganz genau sein – Schlag zwölf Uhr mittags ermordet. Seine Leiche wurde um etwa 16 Uhr 45 aus dem Haus geschafft. Genügt Ihnen diese Erklärung?«
    Der Vizepräsident hüstelte verlegen und machte ein äußerst betretenes Gesicht. »Äh – eigentlich nicht, Chief Inspector. Ich bin nämlich am Freitag vormittag auch in London gewesen und um 15 Uhr 05 wieder nach Oxford gefahren. Ich kam zwischen Viertel und zwanzig nach vier hier an. Und Roope war in demselben Zug.«
    Verblüfftes Schweigen folgte diesem neuen Hinweis. »Sie sind also mit ihm zurückgefahren?« vergewisserte sich Morse.
    »So direkt kann man das auch nicht sagen. Ich ging über den Bahnsteig und sah, daß Roope in ein Abteil Erster Klasse einstieg. Ich habe mich nicht zu ihm gesetzt, weil ich Zweiter gefahren bin.«
    Der Vizepräsident war heilfroh, daß er sich nicht näher zu dem Punkt auszulassen brauchte. Selbst wenn er ein Billett Erster Klasse gehabt hätte, wäre er lieber in die Zweite Klasse gestiegen, als sich zu Roope ins Abteil zu setzen. Er hatte Roope nie leiden können. Es war eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet er diesen Mann von dem Mordverdacht befreite.
    »Schade, daß Sie mir das nicht schon eher gesagt haben. Sie konnten es natürlich nicht wissen«, setzte Morse rasch hinzu, um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen. »Aber es überrascht mich nicht. Ich wußte, daß Roope den Zug um 15 Uhr 05 von Paddington genommen hat.«
    Einige der Anwesenden sahen sich an, die allgemeine Ratlosigkeit war fast mit Händen zu greifen. Bartlett versuchte, die unausgesprochene Frage zu formulieren: »Aber Sie meinten doch gerade –«
    »Nein, Sir. Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber so stimmt es eben nicht. Ich habe gesagt, daß niemand Quinn hätte ermorden können, der nicht zu zwei entscheidenden Zeitpunkten im Haus war. Ich wiederhole – niemand hätte allein den teuflisch-genialen Plan ausführen können.« Er sah sich um, und langsam begriffen die Vorstandsmitglieder, was er mit

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