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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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    »Setz dich und schenk dir einen Gin ein. Mir auch einen, bitte. Ich komme gleich nach.« Er suchte sich Monicas Nummer heraus. Wie jemand anders am Vortag zählte auch er mechanisch die Anschläge. Zehn, zwanzig, fünfundzwanzig. Auch Sally war offenbar nicht zu Hause. Er ließ es noch ein paarmal läuten, dann legte er langsam auf. Brach jetzt alles über ihnen zusammen?
    Er dachte daran, wieviel Zeit und Kraft er in die Jahre des Aufbaus gesteckt hatte. Irgendwann hatte das Fundament sich verschoben, und der Bau hatte Risse bekommen. Er wußte auch ziemlich genau, wann das gewesen war – als sie Roope zum Ehrenamtlichen gewählt hatten. Ja, seit dieser Zeit knisterte es im Gebälk. Roope. Ein paar Minuten blieb Bartlett unentschlossen am Telefon stehen.
    Er hätte den Mann mit Wonne umbringen können. Statt dessen rief er Morse im Präsidium an, aber auch Morse war nicht da. Kein Unglück, er würde es ihm morgen früh sagen.
     

30
     
    Um Viertel vor zehn betrat Mrs. Seth das Haus und ging zum Vorstandsraum hinauf. Sie war die erste. Unwillkürlich erinnerte sie sich an die letzte Sitzung in diesem Raum, als sie an ihren Vater gedacht hatte. Erinnerte sich an Roopes Rede, an die Entscheidung über die Einstellung von Quinn. Allmählich füllte sich der Raum, man begrüßte sich gedämpft, die Stimmung war gedrückt. Auch die anderen Ehrenamtlichen ließen ihre Gedanken zu der letzten Sitzung zurückgehen, genau wie sie. Manchmal nahm auch der eine oder andere Hauptamtliche an der Sitzung teil, aber nur auf besondere Einladung. Heute war nur Bartlett da, dessen müdes, eingefallenes Gesicht das allgemeine Klima widerspiegelte. Den Mann neben Bartlett kannte sie nicht. Er mußte von der Polizei sein. Sah sympathisch aus, etwa ihr Alter, Mitte, Ende Vierzig. Das Haar schon etwas dünn. Nette Augen, auch wenn sie einen gleichzeitig anzusehen und durch einen hindurchzublicken schienen. Ein zweiter Unbekannter – wahrscheinlich auch von der Polizei – stand, ein Notizbuch in der Hand, bescheiden außerhalb des inneren Kreises.
    Zwei Minuten nach zehn, als nur noch ein Stuhl unbesetzt war, stand Bartlett auf und berichtete in einer bedrückten kleinen Rede von dem Verdacht der Polizei (den er teilte), daß dem Ruf ihrer Prüfungen im Ausland durch die kriminellen Machenschaften von ein oder zwei Persönlichkeiten, in die der Verband volles Vertrauen gesetzt hatte, irreparabler Schaden zugefügt worden sei. Nach Ansicht von Chief Inspector Morse (»rechts von mir«) bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen dem Tod von Quinn und Ogleby und dieser Angelegenheit. Nach der Abwicklung der nicht sehr umfangreichen Herbstprüfungen müsse die Tätigkeit des Verbandes zunächst eingestellt werden, um eine gründliche Überprüfung zu ermöglichen. Die Implikationen einer Schließung seien weitreichend, und die Unterstützung aller Anwesenden sei unverzichtbar. Aber dies seien zunächst zweitrangige Erwägungen. Bei der heutigen Sitzung gehe es um ganz andere Dinge, wie sie gleich erfahren würden.
    Der Präsident dankte dem Geschäftsführer und äußerte anschließend seine eigenen düsteren Gedanken zur Zukunft des Verbandes, und während er sich mit vielen Ähs und Hms über die Runden quälte, wurden die Vorstandsmitglieder sichtlich unruhig. Am Tisch wurde geflüstert. »Was hat Bartlett gesagt? Einer oder zwei?«
    »Wer war es, was meinen Sie?«
    »Warum ist die Polizei dabei?«
    »Die sind doch von der Polizei, nicht?«
    Endlich war der Präsident fertig, und auch das Flüstern erstarb. Es war eine seltsame Umkehrung der natürlichen Abfolge, und Mrs. Seth dachte, das müsse wohl an dem Mann zu Bartletts Rechter liegen, der bisher ungerührt dagesessen und sich gelegentlich mit dem Zeigefinger der Linken über die Nase gestrichen hatte. Sie sah, wie Bartlett sich Morse zuwandte und ihn fragend ansah. Morse nickte und erhob sich langsam.
    »Meine Damen und Herren, ich habe den Geschäftsführer gebeten, diese Sitzung einzuberufen, weil ich es für angebracht hielt, Sie über die in diesem Hause durchgeführten Manipulationen von Prüfungsunterlagen unterrichten zu lassen. Sie haben inzwischen einiges darüber erfahren. Damit ist die Sitzung offiziell beendet, und wenn der eine oder andere von Ihnen Termine wahrzunehmen hat, die sich nicht aufschieben lassen, steht es Ihnen frei zu gehen.« Er ließ seine kalten grauen Augen durch den Raum wandern, und die Spannung stieg spürbar. Keiner verzog eine Miene, und

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