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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die folgenden Sätze diktierte. Ab und zu wischte er sich den Schweiß von der Stirn und seufzte tief.
    »Wir sind ruiniert!« sagte er immer wieder. »Signore, daß Sie uns das nach zehn Jahren Freundschaft antun …«
    Gespräch reihte sich an Gespräch.
    Rudolf Cramer erläuterte, diktierte, beteuerte und versprach.
    Zuletzt rief er die Polizei an.
    Als er den Hörer endlich wieder auflegte und sagte: »Fräulein … das wäre alles. Ich danke Ihnen sehr«, war es bereits früher Morgen.
    Über Venedig glomm die Sonne aus dem Meer, die Kuppeln der Kirchen wurden golden, die Kanäle färbten sich blau, auf den Märkten wurden die Stände aufgebaut, die ersten Fischerfrauen gingen in die Kirche und beteten um einen guten Tag.
    Um den Palazzo Barbarino lungerten einige Bettler. Sie fielen nicht auf, nicht einmal dem Butler Cravellis, der zum Markt ging, um frische Landbutter zu kaufen.
    Mit einem Aufschrei fuhr Ilse Wagner aus dem Bett empor. Die Sekunde zwischen Traum und Wirklichkeit jagte ihr einen wilden Schrecken ein.
    Sie hatte geträumt, in Berlin in ihrem Bett zu liegen. Plötzlich wehten die Gardinen, und über das Dach kletterte ein Mann in ihr Zimmer. Er sah aus wie Cramer, aber seine Augen waren kalt und voller Gier. Da schrie sie auf und wollte aus dem Bett springen. Aber es gelang nicht … wie gegen eine unsichtbare Wand prallte sie und wurde zurückgeworfen.
    Da wachte sie auf und saß vor einer bunt bezogenen Mauer. Rosen leuchteten ihr entgegen, und sie wichen auch nicht, als sie mit beiden Fäusten dagegen trommelte.
    Erst dann war sie völlig wach und sah sich vor der Wand sitzen, an der das Hotelbett stand. In Berlin stand ihr Bett anders, und die Angewohnheit, immer an der einen Seite aus dem Bett zu steigen, hatte sie jetzt im Halbschlaf gegen die Wand prallen lassen.
    Vor den großen Fenstern leuchtete die Sonne durch die Ritzen der Vorhänge zurück. Das Zauberbild des Canale Grande unter ihr ergriff sie nicht mehr. Nach den Aufregungen des ersten Tages in Venedig war jetzt, nach einer tief durchschlafenen Nacht, die klare Nüchternheit zurückgekehrt.
    Allein in einer fremden Stadt. Mit 100 Mark in der Tasche. Ein Chef, der nicht gekommen ist. Ein … ein neuer Bekannter (Zu einer anderen Bezeichnung wollte sie nicht finden und widersetzte sich dem Gefühl, ihn mehr zu nennen), der sie schon in der ersten Minute belogen hatte und sich Cramer nannte. Ein Zimmer, das sie nie bezahlen konnte, und unten im Hotelbuch eine Souper-Rechnung, die ebenfalls offen bleiben mußte. Das waren die Tatsachen, wie sie Ilse Wagner sah … nicht mehr den sonnigen Canale Grande mit den bunten Obstgondeln.
    Auf dem gläsernen Tisch vor der mit Damast bezogenen Couch stand in einer geschliffenen Kristallvase ein großer Rosenstrauß!
    Verwundert blieb Ilse stehen. Sie konnte sich erinnern, daß er gestern abend noch nicht dort gestanden hatte. Es waren frisch gepflückte Rosen … die Tautropfen glitzerten noch an den wachsglatten, geschlossenen Blütenblättern.
    Ein Zettel stak zwischen den Blüten. Eine Visitenkarte mit einer großen Schrift unter dem gedruckten Namen.
    Ohne sie anzurühren, las Ilse Wagner.
    Rudolf Cramer, Zürich, Opernhaus.
    Und darunter, handschriftlich: »Guten Morgen –«
    Mit einer schroffen Bewegung wandte sie sich ab. Sogar Karten hat er sich mit dem falschen Namen drucken lassen, dachte sie bitter. Und dieser Gedanke schmerzte sogar, so sehr sie sich dagegen wehrte. Er ist ein Hochstapler … das war jetzt nach dem Abfallen des Zaubers der vergangenen Nacht die einzige Erkenntnis, die übrig blieb. Auch diese Rosen bewiesen es.
    Sie sah sie langsam im Zimmer um. Das Abendkleid lag noch über der Sessellehne, die silbernen Schuhe, die seidene, mit Gold durchwirkte Stola, die glitzernde Abendtasche … Requisiten eines Traumes, Strandgut eines Stundenglückes. Im grellen Licht der Sonne war es wie eine weggeworfene Versuchung.
    Mit einem Ruck riß sie sich von dem Anblick los. Hastig eilte sie zum Kleiderschrank und riß das Reisekostüm wieder hervor. Dann rannte sie in das Badezimmer, wusch sich schnell und starrte ihr verzweifeltes Gesicht an, das ihr wie mit einem stummen Schrei entgegenprallte. Mit zitternden Händen versuchte sie, die kunstvolle Frisur des Abends nachzuformen. Es gelang ihr schlecht, aber sie ließ ihre Haare so. Es war doch gleichgültig, wie man auf der Polizeiwache erscheinen würde. Als versetztes Tippmädchen, als Zechprellerin, als ein ›Fall‹, den man

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