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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Meldungen nimmt jeder Polizist entgegen. Für eine Klärung des rätselhaften Verschwindens oder die Wiederfindung des Vermißten ist von privater Seite eine Belohnung von 100.000 Lire ausgesetzt worden.«
    Pietro Barnese schwieg und ließ die Zeitung sinken. Er sah Ilse Wagner mitleidig an. Bleich und mit zitternden Lippen lehnte sie an der Wand.
    »Die … die 100.000 Lire hat Herr Cramer ausgesetzt«, fügte er wie tröstend hinzu.
    »Das … das sind nach deutschem Geld 6.000 Mark, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und wo ist Herr Cramer jetzt?«
    »Unterwegs zu den Redaktionen der Zeitungen. Er hat eine Idee, eine verrückte, Signorina. Er will den Fall ganz groß aufmachen … so sagt man dazu. Er will den Verbrecher – wenn es ihn überhaupt gibt – nervös machen, herauslocken, ihn zu einem Fehler verleiten. In einer Stunde sollen Extrablätter erscheinen mit der Geschichte der armen Ilona Szöke. Ich habe sie noch gekannt … ein wunderschönes Mädchen …«
    »Ich möchte auf mein Zimmer«, sagte Ilse Wagner schwach. »Ich … ich kann nicht mehr –«
    Pietro Barnese winkte einem Boy, der Ilse zum Lift begleitete.
    Herbeidrängende, aufgeregte Hotelgäste umringten Barnese. Zeitungen wurden geschwenkt, ein Gewirr von Stimmen erfüllte die Palmenhalle. Beim Hinaufgleiten des Lifts sah Ilse Wagner, wie Pietros Cut in der Flut der Sommeranzüge und Kleider untertauchte und nur seine Hände aus dem Gewühl hervortauchten.
    Für Sergio Cravelli begann der Tag mit einer bösen Mißstimmung und einem ohnmächtigen Ärger.
    Zwei Grundstücke, auf die er gehofft hatte, wurden zurückgezogen, sicherlich nur, um den Preis in die Höhe zu treiben. Drei Kunden, die schon früh am Morgen kamen, beschwerten sich über einige Bettler, die sie am Fuße der Palazzotreppe angehalten hatten und sie nach den Namen gefragt hatten. Sie waren so verblüfft gewesen, daß sie ihn genannt hatten.
    Cravelli rannte auf den Balkon, der über den Canale Santa Anna hing, und sah hinunter auf seine Freitreppe. Links und rechts vor der Haustür hockten je ein zerlumpter Bettler und starrten trübsinnig in die schmutzigen Wasser des Kanals.
    »Ein Lumpenpack!« schrie Cravelli und rannte in sein Büro zurück. »Man sollte die Hunde draufhetzen!«
    Aber er wagte nicht, es zu tun. Er war Venezianer. Er kannte die Macht der Bettlergilde. Eine Feindschaft mit den Ratten der Altstadt war nur durch einen Wegzug aus Venedig zu beenden. So hörte er mit knirschender Wut von jedem seiner Besucher, daß sie angehalten worden waren.
    »Was wollten sie?« tobte er. »Nur den Namen? Warum denn das?!« Er rannte wieder auf den Balkon und beugte sich über die Brüstung. »He!« schrie er zur Treppe hinunter. »Was sitzt ihr da herum?! Das ist meine Treppe! Mein Grund und Boden! Ich rufe die Polizei, ihr Kreaturen!«
    Die Bettler sahen still zu ihm empor. Sie zogen die Hüte ab und hoben sie wie bettelnd zu ihm hoch. Cravelli hieb mit den Fäusten auf die Mauer und ging zurück in sein hallenartiges Arbeitszimmer. Dort setzte er sich hinter seinen massigen Schreibtisch und trank den Kaffee, den ihm der Butler servierte.
    »Auch hinter dem Haus stehen sie …«, sagte er.
    »Auch dort?« schrie Cravelli.
    »Sie müssen schon die Nacht dort gestanden haben. Paolo, der gegen Morgen zurückkam, wurde bereits angehalten. Ebenfalls Luigi und Sophia.«
    Cravelli nickte. Hastig trank er seinen Kaffee, aß ein Stück Gebäck und rannte dann wieder auf den Balkon. Zwei andere Bettler saßen auf der Treppe. Einer von ihnen spielte sogar Mundharmonika.
    Es muß einen Sinn haben, dachte Cravelli. Unruhig, mit schnellen, kleinen Schritten, rannte er in dem riesigen Büro hin und her, vom Balkonaustritt zur Tür, rund um den Schreibtisch und wieder zu einem Fenster. Durch die Gardine verdeckt blickte er hinunter zum Kanal. Die Bettler saßen auf der Treppe. Jetzt nähte einer von ihnen seinen zerrissenen Rock.
    Eine plötzliche Unruhe stieg in Cravelli hoch. Er stand unter Bewachung … das war jetzt klar. Aber warum bewachten ihn die Bettler? Warum überhaupt wurde er bewacht? Was war nach draußen gedrungen, an das feine Ohr der Ratten?
    Pünktlich um zehn Uhr vormittags klopfte es. Der Butler brachte die Post und die Morgenzeitungen.
    Unter einem Berg von Briefen lagen als Letztes die Morgenzeitungen von Venedig.
    Cravelli nickte mißmutig und blätterte die Briefe durch. Lautlos entfernte sich der Butler. Cravelli warf die Briefe, nachdem er die Absender gelesen hatte,

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