Die schweigenden Kanäle
und mit dem wir vertraut sind, erlaube ich mir, dies zu sagen! Die Dame war fast verzweifelt, dem Weinen nahe …«
Cramer nagte an der Unterlippe. In seinem Körper vibrierte eine Spannung, die sich sogar dem Geschäftsführer mitteilte. Er schwieg plötzlich und trat einen Schritt zurück.
»Ist etwas geschehen, Signore?« fragte er.
»Wo ist Fräulein Wagner jetzt?«
»Sie schläft. Françoise meldete es.«
»Dann lassen Sie sie bitte schlafen!« Er griff nach vorn und faßte den zurückweichenden Geschäftsführer an den Revers des Cuts. »Sie kommen mit!«
»Wohin?«
»In Ihr Büro! Ein Taifun wird durch Ihren feudalen Laden brausen, der euch die Haare vom Kopf weht!«
»Sie … Sie reden in Rätseln, Signore –«
»Ist Dr. Berwaldt zurück?«
»Nein!«
»Das kann er auch nicht! Er ist verschwunden! In Venedig verschwunden! In einem dieser dreckigen, faulenden, schweigenden Kanäle, um die ihr alle einen weiten Bogen fahren laßt. Es ist wie damals vor zehn Jahren … Sie wissen es noch, Pietro?!«
»Unmöglich, Signore! Unmöglich!« Der Geschäftsführer ordnete seinen Cut. Sein Gesicht wirkte trotz der Bräune fahl und wie eingefallen. »Der Ruf unseres Hauses!«
»Ich pfeife auf diesen Ruf, wenn es um einen Menschen geht! Sie haben hier in diesem herrlichen Venedig ein Untier … wissen Sie das?! Zu was ein Mensch an Satanischem fähig sein kann, das vereint sich in diesem einen Körper! Und Sie reden vom Ruf Ihres Hauses! Los, zum Telefon! Ich möchte von Ihrem Büro aus telefonieren –«
»Entsetzlich! Meine Gäste –«
Cramer rannte durch die Halle, stieß die Tür des Büros auf und setzte sich hinter den Schreibtisch. Der Geschäftsführer wirbelte hinterher und trat unhöflich die Tür hinter sich zu, als die drei Portiers in der Rezeption neugierig ins Zimmer sahen.
»Wen … wen wollen Sie anrufen?« rief er.
»Erst die Polizeipräfektur –«
»Die ist um diese Zeit nicht besetzt. Das nächste Revier –«
»Und alle Zeitungen, die erreichbar sind …«
»Alle Zeitungen?« Der Geschäftsführer setzte sich schwer. »Was wollen Sie denn durchgeben?«
»Das werden Sie gleich hören.«
»Auch den Namen unseres Hauses?!«
»Natürlich!«
»Nie. Das ist ein Skandal!« Er sprang auf und riß Cramer den Hörer aus der Hand. »Unsere Gäste werden weglaufen!«
»Dableiben werden sie. Auf Wochen hinaus werden Sie ausverkauft sein! Pietro … Sie kennen doch die menschliche Mentalität. Das Leid des einen ist die ersehnte Frühstückslektüre der Masse! Und sie werden morgen früh etwas haben, was ihnen zwischen Kaffeetasse und Brötchen die Haare in die Höhe treibt und den Honig vom Löffel tropfen läßt! Aus dem Grand-Hotel ›Excelsior‹ verschwindet ein bekannter Arzt und Wissenschaftler –«
»Ich bin ruiniert!« schrie der Geschäftsführer. »Sie bekommen den Hörer nicht!«
»Es gibt in Venedig genug Telefone, Pietro. Machen Sie sich nicht lächerlich! Ihr Apparat liegt mir am nächsten. Also –«
Der Geschäftsführer reichte Cramer den Hörer. Dieser drückte auf einen weißen Knopf und war mit der Telefonzentrale des Hotels verbunden.
»Mein Fräulein!« sagte Cramer hart. »Nehmen Sie in den nächsten Minuten keinerlei Hausgespräche an. Lassen Sie die Leitung für alle anderen besetzt. Und verbinden Sie mich jetzt nacheinander mit sämtlichen Zeitungsredaktionen und Korrespondenten in Venedig und Chioggia. Ja … es geschieht mit Billigung von Direktor Pietro Barnese. Ich bin im Büro von Signore Barnese.«
Der Geschäftsführer legte seufzend die Hände ineinander. Er hockte auf seinem Stuhl, als sei er ein überführter Verbrecher.
»Wie … wie soll ich das verantworten …« stotterte er.
»Mit der Menschlichkeit!«
»Mit …« Er starrte Cramer an. »Signore, Sie sich doch nicht betrunken –«
»Sie können dann sagen, mitgeholfen zu haben, die Welt zu retten!«
»Sie … Sie haben also doch getrunken?!« Er wollte aufspringen und Cramer den Hörer wieder entreißen, aber dieser wehrte ihn mit der Linken ab.
»Ja, Fräulein!« rief er ins Telefon. »Ja … bitte die Nachtredaktion! Ich gebe etwas durch, was noch in die Frühausgabe muß! Was heißt hier, schon imprimiert? Dann fliegt eben ein anderer Artikel heraus! Sie werden es sehen – aha … der Nachtredakteur! Hier ist Cramer. Sie kennen mich nicht, aber ich komme morgen zu Ihnen. Bitte, hören Sie mich an und schreiben Sie mit …«
Pietro Barnese starrte Cramer ungläubig an, als dieser
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